Kräftiges Klassenkampfbekenntnis oder Konsum des Entsetzens?
An der Frage nach Sinn und Unsinn politisch engagierter Popmusik scheiden sich in der Linken die Geister. Der Soziologe Theodor W. Adorno war der Meinung, dass »alle Versuche, politischen Protest mit Popular Music zusammenzubringen, zum Scheitern verurteilt sind«, weil letztere viel zu eng mit »dem Warencharakter, mit dem Amüsement« verbunden sei. Wenn auf eine oftmals »schnulzenhafte Musik« etwa gesungen werde, dass Vietnam nicht zu ertragen sei, dann werde lediglich »das Entsetzliche konsumierbar gemacht«. Andere dagegen mögen sich gar nicht vorstellen, politische Kämpfe ohne einen Soundtrack gewinnen zu können. Der »Revolutionsgesang« sei »ein kräftiges, in Rhythmen gefasstes Klassenkampfbekenntnis«, schwärmte der Dichter Johannes R. Becher.
M&R konsultierte zwei Experten, deren Blickwinkel divergenter kaum sein können: Der eine praktiziert politische Musik, lebt und atmet sie; der andere setzt sich theoretisch damit auseinander und beäugt sie mit kritischer Distanz. Wir konfrontierten sie mit der These:
Politisch engagierte Musik kann die Welt verändern
PRO
Musik verleiht den Menschen Kraft zum WiderstandVielleicht bin ich einer der wenigen, die definitiv der Meinung sind, dass engagierte Kunst die Welt verändern kann und sie auch schon verändert hat. Ein Blick in die Historie kann erklären, warum ich diese etwas solitäre Position vertrete. Selbstverständlich gehen wir heute davon aus, dass wir in einem sehr ungerechten Gesellschaftssystem leben. Daher scheint die These nachvollziehbar, die engagierte Kunst habe nichts bewirkt.Seit den 1970er-Jahren mussten wir erleben, dass Individuen, Meinungen, ganze Bewegungen und auch die Kunst eingekauft worden sind. Die Macht des Erfolgs und des Geldes ist verführerisch – darin unterscheiden sich Musiker nicht von Politikern und Wirtschaftsbossen – und verändert auch die engagiertesten. …
Konstantin Wecker
ist politischer Liedermacher,
Komponist, Schauspieler und Autor.
Jüngst erschien sein neues Buch »Mönch & Krieger«
CONTRA
Politische Popmusik tut dem Kapitalismus nicht wirklich wehEgal, ob Hippies oder Punks, ob Hausbesetzer oder Atomkraftgegner, ob Arbeiter- oder Frauenbewegung: Sie alle haben politisches Liedgut hervorgebracht. Doch wäre mir keine soziale Bewegung bekannt, an deren Anfang ein Song gestanden hätte. Auch in den Charts wird mitunter kräftig bis heftig politisiert. Mir ist allerdings kein Stück bekannt, das in irgendeiner Form je weltverändernde Wirkung auch nur ansatzweise hätte entfalten können. Und was die alljährlichen Spendenaufrufe der politisch engagierten Prominenz tatsächlich bringen – wer weiß das schon. Nicht viel scheinbar, wenn man sich so umsieht. …
Marvin Chlada
ist Kulturwissenschaftler, Autor u.a. von »Pop-Analysen«
und Musiker. Aktuell arbeitet er an einem Buch
über den Frühsozialisten Charles Fourier
Die kompletten Debattenbeiträge lesen Sie in der M&R 4/2014, erhältlich ab dem 27. Juni 2014 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
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