Deutsche Intellektuelle steigen für den neoliberalen Newcomer in die Bütt
Seit Mitte Mai ist Emmanuel Macron französischer Präsident. Deutsche Medien haben seinen Aufstieg mit viel Poesie begleitet. Der Focus freute sich in einer Titelgeschichte über die »Rückkehr der schönen Männer in die Politik« – während das Gemetzel der Reformen bereits in vollem Gange ist.
Im Rückblick auf den Wahlkampf fragen kritische Geister: Wie kommt ein offenkundig rechter Politiker mit der Lüge durch, weder rechts noch links noch Mitte zu sein? Ein Mann gründet eine Bewegung, nennt sie militärisch »En Marche!«, behauptet, ohne Ideologie fürs Volk zu sprechen. Brandmarken die Medien so etwas gewöhnlich nicht als »Populismus«? Warum wird Macron dennoch als Retter vor dem Populismus inszeniert?
Wie so oft, hilft die Kultur beim Finden einer Antwort. Im April hatte Die Zeit Stellungnahmen von 19 Intellektuellen nebst einem Interview mit Jürgen Habermas veröffentlicht. Ihr französischer Kooperationspartner Le Monde brachte eine Auswahl der Statements: So sei die deutsche Sicht auf den Wahlkampf, hieß es zu einem Zeitpunkt, in dem noch fortschrittliche Kandidaten im Rennen waren. Offenbar sollten große deutsche Denker ihren Einfluss geltend machen.
red
Denker und Meisterdenker
Ein Kommentar von Kai Köhler
Am Ende tut jede, was sie zu müssen glaubt. So preist Alice Schwarzer den »Sunnyboy«, weil nur der Marine Le Pen Einhalt gebieten könne. Ihre einzige Sorge dabei ist, dass Macron noch lange nicht islamfeindlich genug auftrete und so die Fremdenfeindlichkeit den Rechten überlasse. Uneingeschränkt begeistert ist dagegen die Romanistin Barbara Vinken, nämlich vom »Strahlen der blauen Augen« ihres Helden. Nun ja.
Es ist auch nicht gerade einfach, Martin Walsers Lob zu entkommen, jedenfalls wenn man rechts genug ist. Nach Angela Merkel, Guido Westerwelle, Wolfgang Schäuble oder Peer Steinbrück schleimt er nun über »eine Hoffnung namens Macron«, den er in einer Reihe gallischer Helden seit Vercingetorix sieht.
Ein Meisterdenker wie Peter Sloterdijk meidet hingegen solche Niederungen. Zwar ist auch für ihn Macron ein »charismatischer Modernisierer«. Doch tut der Fernsehphilosoph immer noch so, als sei er väterlicher Ratgeber des »linken Flügels«. Dessen Aufgabe sei es, Le Pen zu verhindern und Macron eine Chance zu geben. Würde die Faschistin gewinnen, dann sei die Linke schuld, die sich an einem antikapitalistischen »Möchtegern-Diktator Mélenchon« und dessen Traum von venezolanischen Verhältnissen berausche.
Wenn man ein Argument suchte, die hiesigen geisteswissenschaftlichen Institute zwecks Geldersparnis zu schließen – Sloterdijk liefert es frei Haus. Als fast Einziger ist er so ungeschickt, den Namen des Feindes überhaupt zu nennen. Die klügeren Ideologen kennen überhaupt nur Trottel, die sich im nationalstaatlichen Rahmen eingebunkert haben – und dagegen Macron als »Alternative aus eigenem Recht« (Armin Nassehi), »eine neue, nicht nationalstaatlich fixierte Alternative, die tatsächlich Siegeschancen hat« (Nora Bossong).
Man muss bei alldem nicht mittun. Wenn Frank Schätzing Gestalten wie Marine Le Pen als das verkörperte Versagen der Globalisierung begreift, wenn der Soziologe Wolfgang Streeck Macron als »Schaufensterpuppe des Finanzkapitalismus« entlarvt, dann haben einige Beiträger tatsächlich dissidente Gedanken eingeschmuggelt. Vielleicht aber dienen sie gerade dadurch dem Ideologietransfer.
Jedenfalls werden sie, wenn sie soweitermachen, niemals den Status eines Jürgen Habermas erreichen, der der Zeit ein Gespräch zum Thema gewährt und so als Meister der Meisterdenker erscheint. Seit Jahrzehnten hat er die Technik perfektioniert, auch den kritischsten Gedanken noch so zu formulieren, dass am Ende die Verteidigung des Bestehenden dabei herauskommt. Auch diesmal trumpft er auf: Will man jammernde oder engagierte Intellektuelle? Will man ein undemokratisches Europa der Konzerne oder die Verteidigung »unserer liberalen Lebensform«? Und wer ist schon dagegen, die »Dialektik der Aufklärung« zu durchdenken, und zwar »ohne deren Geist zu verraten«? Zwar bleibt Habermas jede Begründung schuldig, warum man ausgerechnet darum Macron unterstützen sollte. Aber wer lernen möchte, wie man Neoliberalismus ein menschliches Antlitz aufschminkt, sollte dieses Interview lesen.
Der Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 3/2017, erhältlich ab dem 30. Juni 2017 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.