Melodie & Rhythmus

Tangermünder Lebenslust

25.04.2012 11:56

Empty Guns

Die Empty Guns fliehen vor der Lethargie in Sachsen Anhalt *
Text: Christoph Schrag, Foto: Jonas Bergmeier

Tangermünde. Altmark. Wiege Preußens. Echt schön da. Wenn man auf Fachwerkhäuser steht, auf Burgfeste oder flache Radwanderwege durch die Felder. Eben eher auf Familienthemen. Oder Rentneramüsement. Tangermünde ist einer der vielen kleinen Orte in Ostdeutschland, in denen diese merkwürdige Delle in der Altersgrafik auftaucht. Viele Alte, ein paar Kinder, aber keine jungen Erwachsenen. Na gut, bis auf einen. Der heißt Sören, ist der Sänger der Empty Guns, Mitte zwanzig und offiziell wohnhaft in Tangermünde. Aber viel da ist er auch nicht. Eigentlich nur noch zum Musik machen.

Im Probehaus der Empty Guns in Tangermünde liegen 13 Proberäume. Früher alle proppenvoll mit Punk-, Hardcore-, oder Beides-Bands. Heute treffen die vier Rest-Jugendlichen von Empty Guns nur noch ab und zu die alternde Coverband auf dem Flur oder schauen bei den Typen rein, von denen keiner weiß, was sie da in ihrem Raum machen, außer, dass sie einem immer Bier verkaufen können. Alle anderen Räume stehen leer. Ganz anders die beiden Altersheime in Tangermünde. Die sind überfüllt. Jetzt wird ein drittes gebaut.

Das Sommerfestival, das Sören immer organisiert hat, muss dieses Jahr ausfallen. Die Stadt hat keine Kohle, um die verschimmelte Skateanlage zu liften, den Dreh- und Angelpunkt der Party. Aber ohne Halfpipe kein Skate-Punk. Auf den Flyern des »In The Zone« Festivals wurden immer Skate Contests, Basketball, veganes BBQ und Graffiti angekündigt. Um die 1.000 Leute hat das gezogen, immerhin. Aber die ziehen jetzt woanders hin.

So wie auch drei Viertel der Empty Guns. Sie arbeiten in Hamburg oder Leipzig und kommen eben zum Proben nach Tangermünde. Nur Sören ist noch da, und auch der lebt eher auf der Autobahn. In den letzten drei Jahren haben sie mehr als hundert Konzerte in ganz Deutschland und den Nachbarländern gespielt. Dazu kommen zwei EPs und ein Album, alles auf eigene Faust in verschiedenen Studios produziert und zwischen Vollzeitjobs. Diese Energie hört man dann auch in der Musik der Empty Guns. Eine Musik, die so groß ist, dass sie eigentlich nicht nur aus Tangermünde kommen kann. Vor allem nicht da bleiben.

»Niemand hat vor eine Mauer zu bauen« heißt ihre neuste EP. Von den Anfängen im Hip-Hop ist vor allem noch das Gefühl für den richtigen Beat übriggeblieben. Den aber brechen die Jungs oft genug überraschend auf, um manchmal sogar einen neuen Song im Song zu spielen. Sie lieben die gespannten Atmosphären, die sie mit ihren klaren Gitarren aufrichten und hier und da mit Glockenspiel vergrößern. Sören singt, ruft, kauert immer kurz vor dem Sprung: »Alles, was du sonst fühlst, ist nur Materie/Dein Finger auf meinem Puls muss sich bewegen, denn/ alles, was ich sonst fühl ist nur Materie/ Bleib bitte noch eine Nacht unter den Lebenden.«

Noch eine Nacht, noch einen Tag, noch ein Konzert. So hangelten sich Empty Guns in den vergangenen Jahren von Song zu Song, von Gig zu Gig. Mit beeindruckender Kraft. Vielleicht ist das mit Tangermünde am Ende gar nicht so schlecht für Empty Guns. So haben sie Ruhe für ihre Musik. Und sind lieber immer woanders. Auf Tour. Fast das ganze Jahr. Echt.

Empty Guns Niemand hat vor eine Mauer zu bauen
Record Jet/New Music Distribution
www.emptyguns.de

(*) In der gedruckten Ausgabe ist Tangermünde versehentlich in Brandenburg angesiedelt worden. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.

Der Beitrag erscheint in der Melodie&Rhythmus 3/2012, erhältlich ab dem 27. April 2012 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch hier bestellen.

Termine:
05.05.12 Mannheim Mohawk
11.05.12 Leipzig Villa
12.05.12 Bayreuth Glashaus
02.06.12 Stendal Theater der Altmark
04.06.12 Hamburg Astrastube
05.06.12 Potsdam Waschhaus
06.06.12 Berlin About Blank
07.06.12 Erfurt Stadtgarten
08.06.12 Mainz Bar Münchfeld
09.06.12 Espelkamp Frotheim Open Air
23.06.12 Landau Südstern

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