Melodie & Rhythmus

Ostfriesische Paradiesvögel

26.02.2013 14:22

Hurricane Dean

Hurricane Dean drehen Videos im Wald und versuchen sich an einem urdeutschen Mythos
Text: Christoph Schrag, Foto: privat

Der Wald und seine Deutschen. Eine Liebesgeschichte. Zwar monieren echte Kenner, dass in der Realität der Wald in die Deutschen etwa so selten eindringt, wie sie in ihn. Trotzdem wirkt sie aber seit Urzeiten, diese gegenseitige dunkle und blättrige Faszination. Sie wird immer weiter vererbt. An Baumschulen oder bundesdeutsche Bands, die ihre Videos im Wald drehen. Und auch hier: Wieder Liebesgeschichte und Faszinosum.

Zedernholzschwarz die aufgestellten Haare. Dunkler als der Mischforst schimmern sie, ja fast so düster wie die Farbe um die Augen der jungen schönen Rabenmenschin, die uns geheimnisvoll anblickt. Uns, die Waldvideobetrachter. Die populärgebildeten unter den Waldvideobetrachtern durchschauen allerdings blitzschnell das blickundichte Federkostüm, und lassen sich nimmermehr darüber hinwegtäuschen, dass darunter weder Rabe noch sonstige Waldwesen stecken. Nicht mal ein Blätterwaldwesen, sondern ein Paradiesvogel aus dem Fernsehen: Luisa, Germany’s Next Topmodel von letztem Jahr. Was macht die im Wald? Sich verlieben, wie sich’s gehört. Und zwar in ein Twilight-artiges Wolfskopfmännchen, mit dem sie sich am Ende auch in einer Art Blitz-Zwielicht vereinigt. Ganz überund eben nicht irdisch. Und so nur möglich im deutschen Wald.

Und wie die Musik dazu passt! Die ist nahezu noch dunkler als das Rabenmodel, und glitzert auch noch verführerischer. Dabei kommt sie aus einer eher waldunverdächtigen Gegend: Ostfriesland. Von vier jungen Friesen, die genau wissen, wie man die britische Popgeschichte der Underground-Linie von Joy Division nach Editors so in den Wald hinein ruft, dass sie frisch erzählt wieder heraus schallt. Denn wenn Friesen eines wissen, dann woher der Wind weht. Nicht von ungefähr haben sich die vier den Kampfnamen Hurricane Dean zugelegt. Der zog vor ein paar Jahren über die karibische Inselwelt und die US-Atlantikküste und knickte mehr als nur ein paar Bäume ab. Ganz so weit ist nun die Band gleichen Namens noch nicht gekommen, aber immerhin sind sie Anfang des Jahres auf einer ersten großen Tour schon durch alle nennenswerten Städte der Republik gestürmt. Dabei gerieten sie auch dem Radio und (Internet-)Fernsehen schon auf das Radar.

Ian Bleeker an Gitarre und Gesang hat mit seinen drei Nordlichtern aus Leer und Papenburg vor gerade mal zwei Jahren angefangen, Musik zu machen. Klar hatten alle auch schon vorher mal ein Instrument in der Hand. Aber so schnell ging es noch nie. Erster Song im Netz und gleich Campus-Charts. Später kamen Gigs, dann eine Booking Agentur und ein Management. Und eben das Video zu ihrer zweiten Single Appeal, dem man derzeit im Netz dabei helfen kann, über die 150.000 Marke zu springen.

Ach, und von wegen Wald und die Deutschen und Liebe und so: Die schöne Luisa hat sich beim Waldvideodreh angeblich tatsächlich in den Wolfsjungen verliebt. Den echten. Also den ohne Maske. Dabei kommen sie ja allesamt wie auch die Band aus Ostfriesland und müssten sich schon jahrelang gegenseitig beim Balancieren auf der Waterkant vorbeigelassen haben. Aber der entscheidende Funke, der fliegt eben noch immer im Wald. Wartet‘s ab.

Hurricane Dean Appeal (EP & Video)
Klein, Singer GbR
hurricanedeanmusic.com

Der Beitrag erscheint in der Melodie&Rhythmus 2/2013, erhältlich ab dem 1. März 2013 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

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