Der Historiker Gerald Horne über das Erbe des Siedlerkolonialismus in den USA und den Widerstand von Schwarzen und Indigenen
Interview: John Lütten
Die Geschichte der USA ist nicht nur die Geschichte von Kolonisierung, Sklaverei und Massenmord an den indigenen Völkern. Sie ist auch die Geschichte des Kampfes gegen Rassismus, Unterdrückung und Vertreibung. Um sie wirklich verstehen zu können, müsse man in die Zeit vor der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten zurückschauen, meint der Historiker Gerald Horne von der Universität Houston, der intensiv zum Kolonialismus in Amerika sowie zum »Weißsein« als Identifikationsmodell geforscht und publiziert hat. M&R sprach mit Gerald Horne über die Genese der Ideologie »weißer Überlegenheit«, über Widerstandsbewegungen der Schwarzen und Native Americans und den Mythos vom Verschwinden indigener Kultur.
In Ihrem Buch »The Apocalypse of Settler Colonialism« findet sich die These, das 17. Jahrhundert sei besonders aufschlussreich, um den Rassismus und die weiße Dominanz in den USA zu verstehen. Warum ist es so bedeutsam?
In dieser Zeit wurde materiell und ideologisch der Grundstein für die weiße Vorherrschaft gelegt, die die USA bis heute prägt. Einige Elemente des »Weißseins« als paneuropäischen und auf Eroberung gerichteten Projekts reichen zwar bis zu den Kreuzzügen zurück – damals religiös unterlegt und gegen die Muslime gerichtet. Das Besondere des 17. Jahrhunderts ist aber, dass das Kolonialsystem und der Sklavenhandel mit dem Siedlerkolonialismus in Amerika sowie der Errichtung des Commonwealth unter Oliver Cromwell eine neue Qualität erreichten. Ein historischer Markstein dieser Entwicklung waren etwa die Eroberung Jamaikas im Jahr 1655 und der anschließende »Zuckerboom«: Mit dem Anbau und Verkauf von Zucker erwirtschafteten die Briten gigantische Profite, die dazu beitrugen, das blutige Fundament des modernen Kapitalismus zu errichten und ebenso die Sklaverei massiv auszubauen. Fortan wurden unzählige Afrikaner in die Kolonien verschleppt, was wiederum den Siedlerkolonialismus befeuerte.
Eine Entwicklung, die auch den Begriff des »Weißseins« prägt?
Genau. Anders als zur Zeit der spanischen Reconquista, als die weiße Identität vor allem im Katholizismus, also auf der Religion gründete, wurde sie nun »rassisch« verstanden. Die Sklaven wurden rassifiziert und entmenschlicht – deshalb musste die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten später betonen, dass alle Menschen »gleich erschaffen« sind. Der rassistische Begriff des »Weißseins« war der Überbau des Kolonialismus. …
Das komplette Interview erscheint in der Melodie & Rhythmus 1/2021, erhältlich ab dem 18. Dezember 2020 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.