Eine satirische Reportage über die verbotene Großdemonstration gegen das AKW Brokdorf vor 40 Jahren
Henning Venske
Der 28. Februar 1981 ist ein historischer Tag für die Linke in der BRD. Eine Demonstration gegen den Bau des Atomkraftwerks Brokdorf in Schleswig-Holstein war untersagt worden. Sie fand trotzdem statt. Die Polizei reagierte mit brachialer Härte, es kam zu schweren Auseinandersetzungen. Letztlich sollte der Protestmarsch Anlass einer Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugunsten der Versammlungsfreiheit sein (das Verbot wurde nachträglich für rechtswidrig erklärt) und mit bis zu 100.000 Teilnehmern als bis dato größte Demonstration in die Geschichte der Republik eingehen. Einer ihrer bekanntesten Kabarettisten brachte seine Eindrücke zu Papier.
Ich ziehe mich warm an. Darüber wasserdicht. Schwimmerbrille, hilfreich gegen Tränengas. Das Palästinensertuch, das – mit Zitronensaft besprüht – die Atmung ermöglicht, ohne die ein »vermummter Chaot« nicht auskommt. Schokolade und Zigaretten in den Taschen. Pinkeln wird schwierig werden – zu viele Hosen. Trockenes Zeug zum Wechseln bleibt im Bus. Es ist Sonnabend, nachts um zwei Uhr. Bei eiskaltem Wind versammeln wir uns, und alle wissen: Zur gleichen Zeit machen sich die anderen auf den Weg, aus allen Teilen des Landes: Die Stacheldrahtlobby aus Kiel hat geladen, und wir fahren jetzt, um in Brokdorf Ordnung zu schaffen. Der Konvoi setzt sich in Gang. Erste Nachrichten treffen von Auseinandersetzungen mit der Polizei auf den Autobahnen ein. Wir werden, wenn sie uns anhalten, den Bus auf keinen Fall durchsuchen lassen. Das ist Konsens.
Der Innenminister von Schleswig-Holstein, der Doppeldoktor Uwe Barschel, Jahrgang 44, schläft um diese Zeit noch. Vielleicht träumt er von jenen ruhmreichen Tagen im Jahre 1963, als er – noch Schulsprecher in Geesthacht und Funktionär der Jungen Union – den Naziadmiral Dönitz zur »Aktualisierung des Geschichtsunterrichts« in der voll besetzten Aula des Otto-Hahn-Gymnasiums auftreten ließ. …
Die Originalfassung des Textes erschien 1981 unter dem Titel »Grüß Gott, wir sind die Chaoten« in der Zeitschrift Konkret.
Der komplette Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 1/2021, erhältlich ab dem 18. Dezember 2020 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
Fotos (Montage): Roba / Roba-Archiv UNitedarchives12145, Imago / Localpic, Klaus rose, DPA / Martin Athenstädt
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