Melodie & Rhythmus

Lust auf Veränderung unplugged

30.08.2016 14:07
Gerardo Alfonso beim M&R-Konzert in Rostock Foto: Andrea Kähler

Gerardo Alfonso beim M&R-Konzert in Rostock
Foto: Andrea Kähler

Zwölf erfolgreiche Stationen »Viva Cuba«-Tour: M&R präsentierte Gerardo Alfonso & Friends

Gerardo Alfonso, 57, tourte drei Wochen durch Deutschland, elf Stationen. Und der weit über Kubas Küsten hinaus geachtete Multi-Musikalist aus Havanna machte zudem einen Abstecher in den Süden: Im schweizerischen Basel gab er ein herausragendes Konzert, spielte unplugged. Das Publikum saß nah dran, der Saal des Schmiedhofs war voll, die Stühle reichten nicht für alle – keine Selbstverständlichkeit. Hamburg konn- te mithalten, die Auftritte in Dortmund auf dem gut besuchten UZ-Pressefest waren nahezu ein Selbstläufer, wie auch die Fiesta de Solidaridad von Cuba Sí im Osten Berlins. Kurzum: Es lief insgesamt gut, besonders in den proletarisch geprägten Zentren der Solidarität und des Internationalismus, dort also, wo sich Ausländerfeinde und Kriegstreiber nicht so stark fühlen können.

»Auch Rostock«, bilanziert Alfonso nach dem Tourneeabschluss im Gespräch mit M&R, »war wunderbar, eine fantastisch anregende Atmosphäre.« Er begann solo am Piano, vier oder fünf Songs zum Innehalten – die weiche, balladeske, nachdenkliche Seite des Vielseiters, der es versteht, sich bei jedem Konzert neu auf sein Publikum einzustellen, Protagonist der zweiten Nueva-Trova-Generation nach der kubanischen Revolution, die auch in den Jahren des fürchterlichen Mangels nach 1990 auf der Insel blieb und durchhielt. Damals entstanden Alfonsos populärste Songs: »Sábanas Blancas« (Weiße Laken), eine Art Hymne auf Kubas Hauptstadt. Sowie sein Klassiker »Son los sueños todavía«, eine Hommage an Ernesto Che Guevara: »Es sind immer noch die Träume / Die die Menschen vorwärtstreiben.«

Hoffentlich. Die derzeitigen Verhältnisse gieren geradezu nach Träumen von einer besseren Welt – und nach Taten für eine solche. Auch deswegen war es ein Glück, dass Gerardo Alfonso die neue Trova-Generation in Gestalt seines 16-jährigen Sohnes Tobias mitgebracht hatte auf dessen erste Auslandsreise. Im Februar hatten wir ihn als eher schüchternen Jungen auf der Bühne in der Festung Cabana hoch über Havanna erlebt, nun führte der Musikstudent – drei Jahre Ausbildung liegen noch vor ihm – seine selbstgeschriebenen Lieder aus dem alltäglichen Leben mit empathischer Kraft auf. Eine Entdeckung. Sie konterkariert die medial gepushte Meinung, wonach Kubas Kultur eine eindimensionale Reggaetón-Zukunft von Hollywoods Gnaden bevorsteht.

Der Berliner Liedermacher Tobias Thiele, 29, von Gerardo Alfonso als »Adoptivsohn« vorgestellt, vervollständigte das Programm. Der Dritte im Bunde übersetzte nicht nur – er stellte einige Titel seiner neuen CD »Unerhört« vor, um schließlich zusammen mit seinen kubanischen Freunden Alfonso-Titel aufzuführen: »Dicen Que« (Sie sagen), ein Reggae über rassistische Vorurteile, »Así de sencillo« (Einfach so), ein kubanischer Son zum Mittanzen, »Quisiera« über die Liebe in der Ferne. Ein hochkarätiges »Viva Cuba!«-Trio ist geboren.

Natürlich spielte auch die »Viva Cuba!«-M&R bei allen Gigs eine Rolle. Einige hundert Exemplare gingen über den Verkaufstresen. Was nicht bedeutet, dass diese einzigartige Tournee auch ein finanzieller Erfolg gewesen wäre. Die Zeiten sind nicht so, doch kann Musik – frei nach Brecht – den Kampf um Veränderung zur Lust machen.

Gloria Fernandez

Der Beitrag erscheint in der Melodie und Rhythmus 5/2016, erhältlich ab dem 2. September 2016 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

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