Foto: Mitya Aleshkovsky
Punk adieu, bonjour Hollywood: Die Anti-Putin-Aktivistinnen von Pussy Riot ändern ihre Gewandung, bleiben politisch aber stramm auf Westkurs
Essay: Gerd Schumann
Was als Punk daherkommt, muss nicht Punk sein. Das war schon immer so, oder was hatte Malcolm McLarens 1975er-Masterplan zum »Great Rock’n’Roll Swindle« um die Sex Pistols mit Aufstand zu tun? Wenn überhaupt, war es ein Konzept für ein gutes Geschäft mit der längst in der Luft liegenden Rebellion. »Punk« als Produkt bediente zuallererst den aufmüpfigen Zeitgeist. Das barg die Gefahr in sich, umgehend zu Pop zu werden. »Anarchy in the UK« als gegenkultureller Hit, »No future« als Pose, Halbwertzeit, wenn überhaupt, anderthalb Jahre. Das unheimliche Integrationspotential der Kulturindustrie frisst die Punks, und die merken es nicht einmal.
Die russische Kapelle Pussy Riot scheint folglich ein Anachronismus zu sein. 2011 hervorgegangen aus der Happening-Kommune Woina (Krieg), erfand, wer auch immer, jedenfalls ein Mastermind à la McLaren, einen Namen, der »Sex Pistols« assoziieren lässt. Schon das Styling signalisiert, wohin die Reise geht. »Muschi- Aufstand« könnte im Sinne von Herta Müller, die als Literatur- Nobelpreisträgerin auch politisch in der Tradition von Alexander Solschenizyn steht, tatsächlich provozierend wirken, so das Kalkül: »Diktaturen sind immer auch prüde. Und diese Kunst ist ja auch sinnlich.«
Erotischer Transmissionsriemen Punk. Spektakulär dargeboten an einem der Message angemessenen Ort vermag die zum Gesamtkunstwerk stilisierte Protest-Attitüde, kurzberockt in neonfarbenen Robin-Hood-Strumpfhosen und grellen Sturmhauben, immer noch und nicht nur bei Herta Müller für Erregung sorgen. Allerdings bewegt letztlich nicht die Performance selbst, sondern ob sie wahrgenommen wird. Pussy Riots Guerilla-Konzept – plötzlich auftauchen, zuschlagen und wieder verschwinden – funktioniert nur, wenn es medial begleitet wird. Ohne Bilder keine Wirkung, keine Inszenierung ohne Kamera.
Dass sich dann auch noch die russische Justiz im Februar 2012 bemüßigt fühlte, den sonderbaren, »Punk-Gebet« (»Scheiße, Scheiße, Scheiße, Gott ist Scheiße«) betitelten Auftritt in der Moskauer Christ-Erlöser- Kathedrale strafzuverfolgen, tat ein Übriges und machte zwei der drei Angeklagten weltberühmt. Die dritte im Bunde war dafür nicht so geeignet. Jekaterina Stanislawowna Samuzewitsch, 32 Jahre, war zwar zusammen mit ihren beiden Freundinnen zu zwei Jahren Haft verurteilt, jedoch in der Berufungsverhandlung im Oktober 2012 auf Bewährung freigelassen worden, »überraschend«, wie es hieß. Daraufhin spekulierten ihre Mitangeklagten, sie habe einen Deal mit dem – ausgerechnet! – russischen Geheimdienst abgeschlossen. Dieser habe zuvor Samuzewitsch als »schwächstes Mitglied« der Gruppe ausgemacht, »auch weil sie lesbisch ist« und also die Gefangenschaft besonders fürchten müsste. Nach dem ersten Urteil sei ein »Glucke« genanntes Dreigroschenmädchen auf sie angesetzt worden, und Jekaterina habe sich »einwickeln lassen«. Sie taugte nicht mehr für das Vermarktungskonzept.
Trotzdem steht – und das könnte sich zukünftig störend auswirken – ihre Unterschrift als eine von dreien unter dem Vertrag zur Sicherung der Trademark »Pussy Riot«. Wie, unter welchen Bedingungen und ob er überhaupt abgeschlossen wurde, ist strittig. Dass es ihn gibt, nicht: Er befindet sich im Besitz der Ehefrau von Mark Fejgin, Pussy Riots inzwischen gefeuertem Anwalt. Um die Handelsmarke »Pussy Riot« tobt eine »Schlammschlacht«, kommentiert Der Spiegel. »Wir haben lange mit den Anwälten über Business geredet«, schrieb die Bassistin Marija Wladimirowna Aljochina, 26, im Knast an ihre Freundin Nadeschda Andrejewna Tolokonnikowa, 24-jährige »Ideologin«, »Wortführerin«, der »politische Kopf«, »die Schöne« (Spiegel). Tolokonnikowa notierte in ihren Tagebüchern: »Das Ganze lohnt sich, wenn es gelingt, alles heimlich hinzukriegen, ohne Medienrummel, dass Pussy Riot Dollar verdient. Wenn nicht – dann scheiß drauf.« Geld zählt.
Derzeit vollzieht sich deswegen schleichend ein Paradigmenwechsel – visuell, nicht inhaltlich. Da gilt weiter: »Putin lehrt Euch, die Heimat zu lieben«, wie performed in Sotschi, Februar 2014. Das Ende vom Lied: Die Gruppe verlässt geschlagen, verspottet und verfolgt den mit den olympischen Ringen ausstaffierten Platz. Das tat weh und war der bisher letzte Auftritt mit den Mitteln Maske und Musik, live begleitet und kommentiert von Telegraph.co.uk.
Punk war vorgestern, der Umstieg in die Traumwelt des schönen Scheins steht bevor. Tolokonnikowa und Aljochina geben nun der neu entfachten Russenphobie ihre Gesichter. Das ehemals weitgehend anonyme Projekt wird personifiziert, und als die beiden Frauen jüngst in Roskilde auftauchten, stiegen sie nicht zu Mick Jagger, dem König aller verhinderten Straßenkämpfer, auf die Bühne bei Kopenhagen, sondern hielten eine Rede wie zuvor in New York, wo sie es erstmals auf Englisch versuchten. Ohne Maske, aber gut geschminkt erreichen sie die Vereinigten Hot-Dog-Staaten und beleben Kalte-Kriegs-Feindschablonen wieder: »Wenn Sie uns suchen, gehen sie einfach ins nächste KGB-Büro – die wissen immer, wo wir zu finden sind«, witzelt Tolokonnikowa. Agit-Propaganda zu leisten, egal in welchem Gewand, lautet ihre Mission, die zu erfüllen sie schon damals antraten. Musik war da nur Mittel zum Zweck.
Das wunderbarste Madonnenbild ist immer noch das von der Cinema-for-Peace-Veranstaltung in Berlin, 10. Februar 2014. Marija und Nadeschda angestrahlt von hinten, Lichtkranz-Ikonen. Wenig später ließen sie sich noch für Vanity Fair ablichten in ballettartigen Rüschenkleidern. In diesen Kostümen dürfen sich die beiden nicht daneben benehmen und stehen also unter einem besonderen Druck. Gut aussehen kann jede und jeder, more or less, das Richtige sagen nicht unbedingt.
Bisher allerdings brillierten die Shootingstars des Gewerbes. Sie verurteilten Moskau in Sachen Ukraine, verglichen die Krim mit Prag 1968, sprachen von einem »neuen Eisernen Vorhang«, forderten Sanktionen gegen russische Politiker und wurden am EUHof zuvorkommend empfangen. Kein Wort, niemals gegen Brüssel oder Washington, gegen die Herrscher der Welt. Von Edward Snowden, dem wahren Rebellen, halten sie nichts: »Ich glaube nicht, dass jemand, der vom russischen Geheimdienst versorgt wird, ein Freiheitskämpfer gegen Putin ist«, präsentiert sich Tolokonnikowa voll auf Linie der Reichen und Schönen, zu denen sie so gerne gehören möchte.
Hollywood hat natürlich angefragt. Mehr wollte sie nicht verraten. Es kann noch hoch hinaus gehen. Vielleicht sogar in einem zukünftigen Russland unter Michail Chodorkowski, der Weihnachten 2013 zusammen mit den beiden Pussy-Frauen amnestiert worden war. Politische Ebenbilder. Der milliardenschwere Oligarch wäre »nicht der schlechteste Präsident für unser Land«, meint die Chef-Ideologin.
Ruft das ZDF die Schauspielerin Anna Thalbach an. Ob sie sich vor der Kamera zu Pussy Riot »äußern« könne. Das tut sie in der Sendung »Aspekte« (17.8.2012), bezieht Anti-Putin-Position (»selbstgefällig«) und erhält Geld dafür. »Wieviel?«, wird sie später von Charlotte Roche gefragt. Antwort: »Das darf ich nicht sagen.« Roberto Blanco, der ewige Lächler (Werbung für die CDU: »Wir Schwarzen müssen zusammenhalten«), frotzelt fein ironisch: »Blankoscheck«.
Den Artikel lesen Sie in der M&R 5/2014, erhältlich ab dem 29. August 2014 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.