In der historischen Sackgasse
Ein Kommentar von Dmitri Kowalewitsch
Im Westen glauben viele Menschen, dass der Krieg in der Ukraine Ende Februar begonnen hat – tatsächlich dauert er aber bereits seit acht Jahren an. Er begann 2014, als Freiwilligenbataillone radikaler Nationalisten und Neonazis entsendet wurden, um die aufständischen Bewohner von Donezk und Lugansk zu bekämpfen. Viele Menschen im Donbass, in der Mehrzahl Bergleute und Metallarbeiter, lehnten vor allem den entschiedenen Antikommunismus der neuen Kiewer Regierung und die Glorifizierung ukrainischer Nazikollaborateure aus dem Zweiten Weltkrieg ab. Die Rebellen im Donbass betrachten sich als Antifaschisten – sie unterscheiden sich aber deutlich von der liberalen »Antifa« moderner westlicher Prägung.
Die ukrainischen Behörden haben eine »Entkommunisierung« eingeleitet und die kommunistische Partei und andere linke Organisationen verboten sowie oppositionelle Medien geschlossen. Allein im vergangenen Jahr wurde sechs Fernsehstationen ohne Gerichtsbeschluss entweder die Sendelizenz entzogen, oder sie wurden mit Sanktionen belegt, nur weil sie die ukrainische Regierung kritisiert oder ihre Sendungen in russischer Sprache ausgestrahlt hatten. Linke im Westen bekommen von all dem offenbar nichts mit, oder sie begnügen sich damit, wenn ihnen erzählt wird, dass die verbotenen Medien und Parteien »prorussisch« seien.
Westliche Linke befinden sich oft in Informationsblasen. Diese werden von großen Medienkonzernen geschaffen, die selbst als Akteure in den großen Konflikten involviert sind und dort ihre eigenen Interessen verfolgen. Auf diese Weise entsteht ein Informationsregime, das die Menschen leicht manipulieren kann. So haben viele Linke im Westen fast nichts über den Krieg gehört, der von Kiew gegen die Volksrepubliken im Donbass geführt wird: nichts von den Dutzenden Kindern, die gestorben sind, oder von der Tatsache, dass viele Neonazis und andere Rechtsextremisten in die ukrainischen Streitkräfte integriert sind. Die westlichen Medien berichten zwar vereinzelt über die Gefahren, die von dem Regiment Asow, dem Rechten Sektor und den Freikorps in der ukrainischen Armee ausgehen, aber diese Reportagen gehen in der allgemeinen Propaganda für das Kiewer Regime unter, das eine NATO-Mitgliedschaft anstrebt.
Die Verblendung der Linken im Westen und ihre Parteinahme für die Kiewer Regierung verstärken die Repression und den rechtsextremen Terror gegen die ukrainischen Kommunisten und Antifaschisten, die in der Ukraine nur illegal agieren können. Diese Entwicklung kann zu einer Entfremdung, ja sogar zu einem vollständigen Zerwürfnis zwischen der ukrainischen und der westlichen Linken führen – und dies nach einer Spaltung, die es ohnehin längst gibt durch die Diskrepanz zwischen der Realität, mit der wir hier tagtäglich konfrontiert sind, und den Bildern, die die westlichen Mainstreammedien davon produzieren.
So finden sich viele westliche Linke – auch solche, die sich selbst als »Antifa« bezeichnen – an der Seite der faschistischen Freikorps wieder, wenn sie die »Aggression« Russlands und die Antifaschisten im Donbass verurteilen. Die Antikriegsposition ist natürlich respektabel, aber in der westlichen Linken manifestiert sie sich auf Kommando der Konzernmedien und der NATO-Institutionen.
Linke im Westen, die die jahrelange Bombardierung von Donezk ignoriert haben und nun ausschließlich gegen den Beschuss von Kiew protestieren, sind entweder nichts anderes als Heuchler oder demonstrieren ihre völlige Abhängigkeit von den Medien des Großkapitals. Leider sind sie oft nur allzu bereitwillig in diese Falle getappt – infolge ihrer Ablehnung der Klassenagenda zugunsten allgemeiner bürgerlicher »demokratischer« und »antiautoritärer« Ideologien. Dabei hat stets das als »autoritär« zu gelten, was von den großen Konzernmedien als solches definiert wird. Von nun an wird alles, was den Interessen der NATO oder des Großkapitals zuwiderläuft, als »prorussisches« oder »prochinesisches« Narrativ abgestempelt – einschließlich des echten antifaschistischen Kampfes.
Die meisten Linken im Westen lassen sich so in eine historische Sackgasse treiben, in der sie sich mit Nationalisten und Liberalen wiederfinden, von denen sie sich lediglich noch durch ihre Bezeichnung unterscheiden. Das Ergebnis ist, dass viele von ihnen nur noch als »linker« Flügel der NATO agieren, manchmal zu Antikriegskundgebungen gehen – und manchmal auch nicht. Denn sie verzichten genau dann auf Protest, wenn er den Rechten und »demokratischen« Parteien nicht gefällt.
Übersetzung: Bastian Tebarth / Susann Witt-Stahl
Der Autor ist Mitglied der illegalen kommunistischen Organisation Borotba und lebt in Kiew.
Der komplette Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 2/2022, erhältlich ab dem 1. April 2022 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.