Melodie & Rhythmus

»Take it easy«

10.03.2020 14:11
Foto:  The National Gallery London

Foto: The National Gallery London

Gespräch mit Terry Eagleton über die Dialektik des Humors im politischen Kampf und das trügerische Lachen der herrschenden Klasse

Agenda Aufklärung wider den reaktionären Zeitgeist. Wir geben uns die Ehre und laden Künstler und Intellektuelle zum Kritischen Duett mit der M&R-Redaktion über ein aktuelles Thema.

Der Literaturwissenschaftler Terry Eagleton gehört zu den bekanntesten marxistischen Theoretikern in der Englisch sprechenden Welt. Seine Bücher erzielen immens hohe Auflagen, einige gelten heute schon als Klassiker. Die zentrale These seines bekanntesten Werks »Literary Theory: An Introduction« (1983) ist, dass Theorie notwendigerweise immer auch politisch ist. Der aus einem irisch-katholischen Arbeiterhaushalt stammende heute 77-Jährige war Mitglied verschiedener sozialistischer Parteien und meldet sich regelmäßig in öffentlichen Debatten, unter anderem über Religion und Fußball, zu Wort. Die M&R-Redaktion interessiert sich für seine Ansichten zum Kulturkampf und sein bisher nur auf Englisch erschienenes Buch »Humour« von 2019. Das Gespräch führten Bastian Tebarth und Susann Witt-Stahl.

Herr Eagleton, in Ihrem Buch »The Idea of Culture« aus dem Jahr 2000 hatten Sie prophezeit, dass der Kapitalismus zunehmend autoritärere Züge annehme und Schritt für Schritt seine auf Konsens basierende Machtausübung aufgebe, um brutaler die Privilegien der ökonomischen Eliten zu verteidigen. Kultur, so meinten Sie, werde wohl nicht zu den Kräften gehören, die etwas gegen den Ausbruch von blanker Gewalt ausrichten. Ihre Prognose scheint sich bereits bewahrheitet zu haben. Wie bewerten Sie die Rolle der Kultur heute?

Ob Kultur eine Kraft ist, die es mit dem autoritären Kapitalismus – der im Übrigen im Westen noch nicht zur vollen Blüte gekommen ist – aufnehmen kann, hängt davon ab, was Sie darunter verstehen. Sicherlich werden Balzac und Beethoven im Kampf gegen das System nicht sonderlich nützlich sein können. Aber Kultur im Sinne einer Lebensweise ist durchaus brauchbar, ja sogar wichtig. Denn nach diesem Verständnis ist sie grundlegender als Politik: Macht braucht Kultur als Fundament. Wenn sie sich nicht um die Bräuche, Alltagsgewohnheiten, Gefühle und Überzeugungen der Menschen schert – was der Begriff Kultur eben auch bedeutet –, dann ist sie nicht ausreichend verwurzelt und kann folglich nicht gedeihen. Macht kann es sich schlicht nicht leisten, nur toleriert zu werden. Sie muss um die Loyalität und Gewogenheit eines beträchtlichen Teils der Gesellschaft buhlen, um nach dem Begriff Gramscis hegemonial sein zu können. Heute können wir eine wachsende Kluft zwischen dem politischen System und dem Leben der normalen Leute beobachten. Das hat zu einer Diskreditierung der Politik selbst geführt. Kultur wird mehr mit der lokalen als mit der universalen Sphäre in Verbindung gebracht – mit Identität, Zugehörigkeit, Sprache, Tradition und so weiter. Im Zuge des Wiederauflebens des Nationalismus gerät dieses Kulturbewusstsein zunehmend in Konflikt mit dem globalisierten Kapitalismus, vor allem von einer rechtsradikalen Position aus. Kultur ist so gesehen das, wofür Menschen bereit sind zu töten – oder zu sterben. Das Problem, das sich vor diesem Hintergrund für die Linke stellt, ist folgendes: Wie kann sie eine internationalistische Alternative zum kapitalistischen System entwickeln, die weder rücksichtslos ist noch auf das Lokale beschränkt bleibt? Bisher hat in diesem Kampf die extreme Rechte klar die Oberhand. Für den Menschen, der sich körperlich nun mal zu einer bestimmten Zeit immer nur an einem bestimmten Ort aufhalten kann, ist es stets einfacher, lokal als global zu denken.

Bei früheren »Kulturkämpfen« konnte die Linke meist den Sieg davontragen – zumindest ästhetisch und moralisch betrachtet. Man denke an viele berühmte Künstler und Intellektuelle, die sich dezidiert links positioniert hatten – sogar noch, als die Faschisten in den 1920er- und 30er-Jahren in Teilen Europas an die Macht kamen. Insbesondere galt das für Humor und Satire. Warum will es der Linken heute, die ja auch Identität, Zugehörigkeit und Gemeinschaft anzubieten hat – etwa internationale Solidarität als »Zärtlichkeit der Völker« –, nicht so recht gelingen, als Gegenentwurf zum rechten Heimatkult eine sozialistische oder kommunistische Humorkunst hervorzubringen, die in der Lage wäre, die Herzen und Köpfe der Arbeiterklasse zu erobern, wie es beispielsweise noch die Marx Brothers oder Charlie Chaplin geschafft haben?

Es gab in der Tat einige große Künstler, die der Linken in düsteren Zeiten beigestanden haben. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass viele der herausragendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts – von T.S. Eliot über Ernst Jünger bis zu Ezra Pound und den italienischen Futuristen – extrem rechts waren. Künstler stehen nicht immer auf der richtigen Seite, auf der Seite der Engel, genauso wenig wie die Philosophen; man denke nur an Carl Schmitt und Martin Heidegger. …

Das komplette Interview erscheint in der Melodie & Rhythmus 2/2020, erhältlich ab dem 13. März 2020 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

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