Melodie & Rhythmus

»Wir fürchten nicht die Tiefe«

14.12.2021 11:01
 Prosper III, Bottrop, 1. März 1951 und Bergarbeiter Foto: Gerhard Haubold / Creativecommons.org/Licenses/BY-SA/4.0/DEED.EN

Prosper III, Bottrop, 1. März 1951 und Bergarbeiter
Foto: Gerhard Haubold / Creativecommons.org/Licenses/BY-SA/4.0/DEED.EN

Forschungsprojekt zur Bergbauliteratur im Ruhrgebiet

Die Stilllegung des Bottroper Bergwerks Prosper-Haniel am 21. Dezember 2018 besiegelte das Ende der Steinkohleförderung im Ruhrgebiet. Die bereits lange zuvor feststehende Schließung der letzten Zeche in dieser Region gab auch den Anstoß für ein umfangreiches Forschungsprojekt, dem sich das Fritz-Hüser-Institut in Dortmund, benannt nach dem Bibliothekar und Mitbegründer des Literaturzirkels Gruppe 61, von 2017 bis Ende dieses Jahres widmete.

Im Mittelpunkt des Projekts »Steinkohlebergbau in der Literatur« standen vor allem die Kumpel, die im Ruhrgebiet Lyrik und Prosa verfassten. Über Jahrzehnte setzten sich Autoren – fast ausschließlich Männer – an den Feierabenden nach der harten Maloche an ihre literarischen Werke. In den Texten dominierten dokumentarische Schilderungen ihres Alltags, aber auch engagierter Protest gegen Missstände. Denn vor allem bis in die 1920er-Jahre kam es unter Tage noch zu etlichen schweren Unfällen, und so beklagten die Autoren Verluste von verunglückten Kumpeln und prangerten die miserablen Sicherheitsvorkehrungen an.

Viele Texte schilderten auch Arbeitskämpfe der Bergarbeiter, berichtet Arnold Maxwill, Projektmitarbeiter und Herausgeber ausgewählter und zum Teil noch unveröffentlichter Schriften, im Gespräch mit M&R: »Insbesondere in der Weimarer Republik waren die Streiks ein großes Thema.« Diese wurden damals auch von bildungsbürgerlichen Kreisen mit Interesse verfolgt, so Maxwill weiter: »In dieser Zeit war es ziemlich en vogue, sich mit dem Proletarier zu beschäftigen.«

Nach 1945 artikulierten die Bergarbeiterliteraten in ihren Texten linke, vorwiegend sozialdemokratische Positionen. Einige von ihnen, darunter der Schriftsteller Max von der Grün, gründeten schließlich die Gruppe 61, die sich mit der modernen Untertage Arbeitswelt auseinandersetzte. Eine deutlich differenziertere und kritischere Haltung nahmen dann die jüngeren Autoren ein, sie hinterfragen etwa das romantisierte Männlichkeitsbild der Bergleute oder analysieren die Verrohungstendenzen in ihren Wohnsiedlungen.

Einen ersten Einblick in das Genre eröffnet Maxwill zum Beispiel in dem Band »Wir fürchten nicht die Tiefe« mit einem bisher unveröffentlichten Text von Walter Köpping, einer Kulturgeschichte des Bergbaus am Beispiel literarischer Zeugnisse. red

red

Der Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 1/2022, erhältlich ab dem 17. Dezember 2021 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

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