
Foto: Martin Fisch / flickr.com / cc by-sa 2.0 (https://www. flickr.com/photos/marfis75/9439708295)
Legitime Momentaufnahme oder Zerstörung der Aura?
Als zuverlässiger Chronist des Alltags hat das Smartphone auch in Popmusik-Konzerte Einzug gehalten. Vielen Besuchern gilt ein Auftritt ihrer Lieblingsband als so gut wie nicht passiert, wenn er nicht mittels Handykamera festgehalten und in sozialen Netzwerken geteilt wurde. Doch längst nicht jedermann goutiert diese Praxis. Sowohl unter den Zuschauern als auch den Stars mehren sich die kritischen Stimmen. Sängerin Adele echauffierte sich unlängst in Verona über eine Frau im Publikum: »Können Sie aufhören, mich zu filmen? Denn ich stehe wirklich hier – live.« Auch andere Künstler wie Björk, Jack White oder Alicia Keys zeigen sich zunehmend entnervt über gereckte Handys und unruhiges Display-Leuchten im Auditorium. »Lasst die Telefone in eurer Tasche«, lautet die Botschaft an die Fans. Die Gründe dafür liegen weniger in der Angst vor das Urheberrecht verletzenden Bootlegs – noch 2015 ließ BMG deshalb auf Instagram veröffentlichte Videos von Janet-Jackson-Konzerten löschen –, sondern rühren aus der Sorge um die Zerstörung des Live-Ereignisse und seiner einzigartigen Atmosphäre. Wir lassen die These diskutieren:
Handy-Aufnahmen verderben das Konzerterlebnis.
Zuhören. Die stille Revolution
Das permanente Dokumentieren eines Bühnenmoments durch ein in die Höhe gerecktes Smartphone empfinde ich als störend. Es erinnert an die unsinnige Mode, wenn sich Leute im Publikum schultern, während ihnen die weiter hinten stehenden Konzertbesucher egal sind – ähnlich unangenehm übrigens wie die Sicht nehmende Regenschirme. Neben dieser äußeren Wirkung gibt es noch eine weitaus sublimere: Im Fotospeicher unserer Handys werden Konzerte zu harten Fakten. Die gesammelten Daten ersetzen nicht nur unseren persönlichen Eindruck, sondern vernichten die Möglichkeit einer nachträglichen Beschreibung, einer bunten, höchst subjektiven Geschichte unseres Musikerlebens. …
Stefan Reichmann ist Gründer und Leiter des seit 1984 veranstalteten Musikfestivals Haldern Pop am Niederrhein. Er ist Geschäftsführer der Raum 3 Konzertveranstaltungs GmbH, verantwortet das Booking für die 2009 eingeweihte Haldern Pop Bar und betreibt eine Werbeagentur. Foto: Maik Timm
Alltag einer technologischen Gesellschaft
Obwohl die Diskussion über Smartphones auf Konzerten thematisch recht neu ist, erweist sie sich im Grunde genommen als ein alter Hut. Technologischer Fortschritt existiert seit jeher, tut der Gesellschaft meistens gut, wird aber zu Anfang immer misstrauisch beäugt. Nichts anderes passiert gerade bei der vorherrschenden Debatte darüber, ob Smartphones das Erlebnis »Konzert« beieinträchtigen. Sozusagen ein alter Lowtech-Abwehrreflex gegen ein neues Hightech- Phänomen. Dabei bergen die mobilen Endgeräte vor allem für die Musikindustrie einen nicht zu verachtenden Vorteil, den man bei der ganzen Debatte nicht unter den Teppich kehren sollte: Promotion. …
Marcel Azeroth studierte Economics in Jena und ist als freier Autor in Berlin tätig, u. a. für Noisey und Tech-News. Seine Schwerpunkte sind Technologien, gesellschaftlicher Wandel und Musik. Hierbei beschränkt er sich besonders auf extreme Randspielarten wie Metal und Hardcore. Foto: Nelly Hempel
Die kompletten Beiträge lesen Sie in der Melodie und Rhythmus 6/2016, erhältlich ab dem 28. Oktober 2016 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
Anzeigen br>