Foto: Stephan Schütze
»Einfach anders« – Ausstellung zu jugendlichen Subkulturen im Ruhrgebiet
In Bochum muss gegenwärtig alles gehen. Sogar musealisierte Subkultur. Echt! Man muss zwar raus aus der Stadt bis nach Herne und zum Industriemuseum Zeche Hannover, vorbei an dem Slogan »Mein Bochum – unsere Zukunft«, eine Werbung für die Aktion »We are not Detroit«. Erfunden, weil Opel in Bochum gegen die Wand gefahren wurde. Jetzt soll Kultur der Motor sein.
Aber auch dieser Motor stottert längst, zumal die Geschichte des Fahrwerks mit dem Rückgriff bis zur Wandervogel- Bewegung fast so überdehnt wird wie die Autoproduktion im Pott. Wohl deshalb hält man sich bei »Einfach anders« erst gar nicht mit der Theorie von Subkultur auf. In dem 260-seitigen Katalogbuch wird auch in keinem der Beiträge auf die ethnisch geprägte Geschichte des Begriffs verwiesen. Milton M. Gordon, der ihn in den USA der 40er-Jahre entwickelte, und Albert K. Cohen, der die Bezeichnung dann in den 50ern soziologisch fundamentierte, wurden abgewrackt, während Dick Hebdige in England und der Deutsche Rolf Schwendter, beide womöglich auf dem Standstreifen, übersehen werden. »›Nah bei den Menschen‹ zu sein, ist das zentrale Ziel des Landschaftsverbands Westfalen- Lippe«, grußwortet stattdessen der LWL-Direktor Wolfgang Kirsch. »Mit seiner bürgerfreundlichen, leistungsstarken und serviceorientierten Struktur leistet er eine unverzichtbare Arbeit für die kommunale Familie in Westfalen- Lippe.« Selbst Nicht-Soziokulturelle muss bei diesem Satz ein Aquaplaning vom Weg der Erkenntnis schleudern. Doch die Ausstellung will ja keine Subkulturen befördern. Sie geht mit diesem inzwischen umstrittenen Begriff um, als würde sie die Gondel einer Geisterbahn steuern. Der Zweck: In Bochum will man Devotionalien zeigen. Widerstand also war hier immer. »Anders« ist hier ganz »einfach«: Lederhose, Suppentopf, Tornister, Laute und später Gitarre, lustigerweise das Volksliederbuch »Zupfgeigenhansel«, Dokumente der Edelweißpiraten, die Swing-Kids mit Saxophon und Grammophon, später sogar die Bravo, dann erst der Jazz, Elvis, Pomade, die Politisierung um 1968, eine Fellweste, folgend Punks und Graffiti, Parka und Leinenschuhe, Hausbesetzungen, rappende Kids, natürlich multikulturell – und jede Menge Bildschirme und Filme, die Akteure, ihre Erinnerungen und sogar eine Blockflöte zeigen und zum Erklingen bringen.
Das Problem der Ausstellung besteht darin, dass sie aufgrund ihrer schwarzen Löcher nicht trennen kann zwischen der subkulturellen protestbewegten Abkehr von Mainstream, Konventionen und diktatorischen Zwängen und den immer schneller werdenden Bestrebungen der Kulturindustrie, Trends zu pushen und sie zu entwickeln. Diese Erscheinung klingt im Vorwort von Dietmar Osses an. Er differenziert sie aber in seiner Konzeption nicht aus. Sie bleibt eine Aufzählung. Immerhin: Auch für Faschos ist kein Platz in dieser Ausstellung, die noch bis 7. September läuft.
Burkhard Baltzer
Der Artikel erscheint in der M&R 4/2014, erhältlich ab dem 27. Juni 2014 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
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