
Franco Nero in »Django«, 1966
Foto: Imago Images / Prod.DB
Klaus Ottomeyer über die großen Ängste in der spätkapitalistischen Gesellschaft
Gespräch: Susann Witt-Stahl
Politik werde daran gemessen, wie weit sie dem Ideal eines Lebens in der »Freiheit von Angst« gerecht wird, stellte Franklin D. Roosevelt während des Zweiten Weltkriegs fest. Daran habe sich bis heute nichts geändert, meint der Psychoanalytiker Klaus Ottomeyer. Er hat 1977 eine Studie zu den »Ökonomischen Zwängen und menschlichen Beziehungen« im Kapitalismus, 2010 eine Untersuchung zu Jörg Haiders »Mythos und Erbe« veröffentlicht und viele Jahre sozialpsychologische Forschung zu Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit betrieben. In seinem jüngst erschienenen Buch »Angst und Politik«, in dem er auch auf den gleichnamigen historischen Aufsatz von Franz Neumann aus dem Jahr 1957 Bezug nimmt, weist er darauf hin, dass Angst ein guter Ratgeber sein könne, wenn sie realistisch begründet werde, mit einer menschenfreundlichen Gewissensangst verbunden sei und neurotisch-paranoide Ängste bewältigt würden. M&R bat Klaus Ottomeyer um eine freudomarxistische Analyse der großen Ängste in der von Krisen geschüttelten Gegenwart und sprach mit ihm über die produktive und kontraproduktive Verarbeitung von Ängsten in Kunst und Kultur.
In einem historischen Abriss der »Wellen der Angst« in der BRD beziehen Sie sich auf die These des Geschichtswissenschaftlers Frank Biess, dass die Angst ab den 1970er-Jahren eine »deutliche kulturelle Aufwertung« erfahren habe – nicht zuletzt durch die damals starke Friedensbewegung. Und Sie würdigen wie einst der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter die »kognitiven Fähigkeiten« der Angst. Seit den 80er-Jahren triumphiert in Politik, Kultur und Medien aber (wieder) eine Haudegenmentalität. Nach dem Motto »Doch wenn der letzte Mast auch bricht, wir fürchten uns nicht!« aus dem berühmten, nach einer Umdichtung für NS-Propagandazwecke auch berüchtigten Schlager »Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern« von 1939 sollen wir ermutigt werden, weder Angst vor Kriegen noch vor den Folgen der Erderwärmung zu haben. Irrationale Kontraphobie gab es schon immer, aber was befeuert sie in der neoliberalen Gesellschaft?
Wie der von Ihnen zitierte Rühmann-Schlager dokumentiert, hatten die Kontraphobiker in Nazideutschland Hochkonjunktur. Göring gab den todesmutigen Kontraphobiker, als er die in Stalingrad sterbenden deutschen Soldaten mit den 300 Spartanern verglich, die sich 480 vor Christus, den sicheren Tod vor Augen, an den Thermopylen dem übermächtigen Perserheer entgegenstellten. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Kontraphobiker erst einmal Sendepause. Heute sehen sich die Identitären – die seit etwa zehn Jahren alle rechtspopulistischen Bewegungen und Antimigrationsbekämpfer in der westlichen Welt bis hinein in die USA beflügeln – allerdings ausdrücklich als Nachfolger der Spartaner. Im Kalten Krieg und mit der Wiederaufrüstung der Bundesrepublik hatte ein Revival des kontraphobischen Männerideals eingesetzt, das sich etwa in furchtlosen Westernhelden verkörpert fand. …
Das komplette Gespräch erscheint in der Melodie & Rhythmus 2/2022, erhältlich ab dem 1. April 2022 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
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