Die vom Familienministerium initiierte Videoserie »Ehrenpflegas« macht einen ganzen Berufsstand lächerlich
Nicht erst seit Beginn der Coronapandemie wisse man, wie dringend Pflegekräfte gebraucht würden. Es gelte daher, viele Menschen für eine entsprechende Ausbildung in diesem Bereich zu gewinnen, so Familienministerin Franziska Giffey (SPD). Will die Regierung also endlich eine bessere Bezahlung im Pflegesektor durchsetzen? Sie hat sich für einen anderen Weg entschieden: Seit Oktober fährt sie unter dem Slogan »Mach Karriere als Mensch!« eine PR-Kampagne mit dem Ziel, die Azubizahlen bis 2023 um zehn Prozent zu erhöhen. Teil der Werbeoffensive ist die Videoserie »Ehrenpflegas«, mit der Jugendliche, so Giffey, »unterhaltsam und unkonventionell« auf die neue Pflegeausbildung aufmerksam gemacht werden sollen.
Für die fünf Episoden, die zusammen gerade einmal eine knappe halbe Stunde Laufzeit haben, wurden 700.000 Euro hingeblättert. Mit Lisa Vicari, Lena Klenke und Danilo Kamperidis hat man Schauspieler aus Netflix-Erfolgsserien (»How to Sell Drugs Online (Fast)«, »Dark«) engagiert. Klenke spielt auch in »Fack ju Göhte« mit – einer Komödienreihe, an der »Ehrenpflegas« offenbar orientiert ist; produziert wurde die Miniserie von einer Tochterfirma des Herstellers des Kassenschlagers. Sie spielt in einer ersten Klasse einer Pflegeschule, und die drei Protagonisten sind wandelnde Klischees: Boris, der eigentlich nur die Ausbildungsvergütung abgreifen will – mit der man sich laut Serie problemlos ein Cabrio und ein WG-Zimmer leisten kann –, ist dick, dumm und verliebt in die hübsche Blondine Miray; die Dritte im Bunde ist eine Streberin mit Brille, die von ihren Klassenkameraden mit dem Namen »Harry Potter« gehänselt wird – und Franziska Giffey hat sich einen Cameoauftritt nicht verkneifen können.
Das Verteidigungsministerium hatte es 2016 vorgemacht: Die Webserie »Die Rekruten«, die Nachwuchs für die Bundeswehr anwerben sollte, erreichte bei Youtube Spitzenplätze. Die »Ehrenpflegas«-Episoden hingegen bewertet eine überwältigende Mehrheit der Zuschauer negativ; die Kommentarfunktion hat das Familienministerium sicherheitshalber deaktiviert.
Verbände und im Pflegebereich Beschäftigte reagierten entsetzt. Palliativpfleger Ludwig Montag startete eine Onlinepetition, in der die Einstellung der Kampagne gefordert wird – die Serie stoße »berufsübergreifend auf Unverständnis«, indem etwa »Praktiken wie Mobbing und Sexismus« als »Normalzustand« dargestellt würden. In einer weiteren Petition beklagt Initiator Frank Schiller, das Format sei »an Respektlosigkeit gegenüber uns Pflegefachkräften« nicht mehr zu überbieten. Die Krankenpflegerin Nina Böhmer, Autorin des Buchs »Euren Applaus könnt ihr euch sonst wohin stecken«, das dem Pflegenotstand gewidmet ist, schrieb auf Instagram: »Vor wenigen Monaten stellte uns die Bundesregierung als Helden dar – nun als Deppen der Nation.«
Matthias Rude
Der Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 1/2021, erhältlich ab dem 18. Dezember 2020 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
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