Melodie & Rhythmus

Künstler und Intellektuelle unterstützen Melodie & Rhythmus


Musiker, Komponisten, Intellektuelle, Literaten und Kabarettisten setzen sich für Melodie & Rhythmus ein und haben in Videos und Texten ihre Gedanken über Gegenkultur festgehalten. Die Seite wird laufend mit neuen Statements aktualisiert.

Zu den Statements von Activestills, Albino, The Baboon Show, Banda Bassotti, Black Heino, Rolf Becker, Esther Bejarano, Aernschd Born, Klaus-Jürgen Bruder, Che Sudaka, Michel Chevalier, COR, Cressy Jaw, Dietmar Dath, Dead Prez, Steffen Diemer, Owen Hatherley, Hanns-Werner Heister, Nicolaus A. Huber, Dota Kehr, Faten El-Dabbas, Genoël von Lilienstern, Los Fastidios, Boris Kagarlitski, Hartmut Kiewert, King Veganismus One & Dr. Alsan, Bernd Köhler, Johann Kresnik, Laut Fragen, Master Al, Peter Michel, Nicolás Rodrigo Miquea, Moshé Machover, Mono für alle!, Anja Panse, Dave Phillips, Gina Pietsch, Rahel Puffert, Dave Randall, ReadHeadMusic, Heinz Ratz, David Rovics, Erich Schaffner, Erich Schmeckenbecher (Zupfgeigenhansel), Christoph Sieber, Sleaford Mods, Nirit Sommerfeld, Sozi36, Ilija Trojanow, Weber-Herzog-Musiktheater, Konstantin Wecker, Tim Wells, Andreas Wessel, Frank Viehweg, Moshe Zuckermann

Boris Kagarlitski
Publizist

Nirit Sommerfeld
Sängerin

Dead Prez
M-1, Rapper

Rahel Puffert
Bildungsbezogene Kunstarbeit

Banda Bassotti
Skapunk-Band

Peter Michel
Kunstwissenschaftler

Foto: Armin Schubert

Foto: Armin Schubert

Wo Kunst zur Ware verkommt, wo Werke der Gegenwartskunst in Museen und Galerien in gähnender Langeweile einander gleichen, wo Sinnentleerung und Dilettantismus walten, wo substanzlose »Hochkunst« zum Spekulationsobjekt wird, wo gezielte Verdummung und »interesseloses Wohlgefallen« statt Aufklärung herrschen, ist eine Gegenkultur unabdingbar, eine Kultur, eine Kunst voller Anspruch, die die Menschen erreicht, die ihnen hilft, Werte zu erkennen, zu wahren und zu verteidigen, in welcher Form auch immer. Ein Magazin für diese Kultur ist notwendig, und wo seine Existenz gefährdet ist, muss geholfen werden.

Frank Viehweg
Dichtersänger

Foto: Maik Altenburg

Foto: Maik Altenburg

Die offiziellen Medien bedürfen keiner Gleichschaltung durch die herrschende Macht. In vorauseilendem Gehorsam ähneln sich Nachrichten und Kommentare.
Ich fühle mich meinem Kollegen Bernd Köhler verwandt und sage in einem Lied: »Das ist nicht meine Zeit, ich bin nicht ihr Genosse.« Und dennoch habe ich keine andere. Also erhebe ich meine Stimme gegen Mainstream und scheinbare Alternativlosigkeit. Ich weiß, meine Stimme ist nicht die einzige. Und sie will sich mit den anderen zu einem großen Chor verbinden. Alle diese Stimmen brauchen einen Proberaum und einen Auftrittsort. Melodie & Rhythmus kann und soll für sie weiterhin eine Plattform sein, ein Magazin für Gegenkultur. Denn dieses Gegen ist ein Für!

Andreas Wessel
freier wissenschaftlicher Autor und Publizist

Foto: Gabriele Senft

Foto: Gabriele Senft

Gegenkultur – gefährliches Wort, notwendige Praxis. Während wir noch am Begriff arbeiten, muss das jeweils als wahr Erkannte auch schon umgesetzt werden. Wir werden uns nicht selten irren. Entwicklung ist fehlerfreundlich.

Wir suchen das »Gelungene« (siehe die Wortmeldung von Dietmar Dath) in der etablierten Kultur, genauso wie bei den Ausgegrenzten, Abgehängten, Unverkäuflichen.

Seien wir konkret: Aufgabe der gegenkulturellen Bewegung ist es, die gelungenen Produkte der marktkonformen Kultur ihrer Warenform zu entkleiden und sie der Allgemeinheit verfügbar zu machen, sowie die Produktion neuer kultureller Produkte in einer gesellschaftlichen Form jenseits eines Marktes zu ermöglichen.

Ein kulturelles Produkt kann, nach Marx, nur Ware sein, wenn es zuallererst ein nützliches Ding ist, welches menschliche Bedürfnisse befriedigen kann. Kulturelle Produkte aus ihrer Warenförmigkeit zu befreien, heißt also auch, ihren gesellschaftlichen Nutzen neu zu entdecken. Produkte der Bildenden Kunst können beispielsweise als Ding dekorativ sein, sie können Bedürfnisse nach Besitz und Status befriedigen. Der Markt hat ja die unheimliche Macht, Kunstwerken das Mark auszusaugen, ihren ursprünglichen Nutzen unkenntlich zu machen, ja, ihnen als bloßen Tauschwert sogar die Form einer Parallelwährung zu geben. Als gelungene Produkte künstlerischer Tätigkeit können sie aber auch der Weltaneignung und der allgemeinen und individuellen Selbsterkenntnis dienen.

Wie soll im Hier und Jetzt die Entkleidung der Kultur von ihrer Warenform geschehen? Im realexistierenden Kapitalismus kann die Schaffung gegenkultureller Strukturen nur das Ergebnis der Solidarität aller Akteure sein. Der Produzent gelungener und am Markt erfolgreicher Produkte muss den Produzenten gelungener, aber nichtverkäuflicher Produkte unterstützen. Ebenso wie der kritische Rezipient, der seine Arbeitskraft auskömmlich verkauft, den unterstützt, dem dies nicht gelingt. Die Solidarität kann einerseits individuell sein und andererseits in der Unterstützung von Strukturen bestehen, wie beispielsweise mit Abonnements der Zeitung junge Welt und des Magazins Melodie & Rhythmus, Spenden und Teilnahme an Veranstaltungen der jW-Ladengalerie oder den Rosa-Luxemburg-Konferenzen. Im Sinne des oben Gesagten über die ständige Arbeit am Begriff und der daraus folgenden Praxis ist bei der solidarischen Hilfe Toleranz, manchmal vielleicht auch Leidensfähigkeit gefragt. Wie hat doch ein ostdeutscher Philosoph gesagt: »Die Schönheit der Wahrheit liegt in ihrer Unvollkommenheit.«

Woran bemisst sich nun das Gelingen kultureller Produktion? Die Qualität der kulturellen Produkte, die der Gegenstand der gegenkulturellen Befreiungsbewegung sind, bemisst sich in ihrer Nützlichkeit bei der Weltaneignung und Selbsterkenntnis, ja Selbstbefreiung, des Menschen. Auch hier ist – neben der ständigen Arbeit an der Analyse des Verhältnisses von Inhalt und Form – Offenheit, Neugier und Zugewandtheit zu den Akteuren und Rezipienten und ihren konkreten, sich ständig wandelnden Lebenswirklichkeiten vonnöten. Gegenkultur lehnt jeglichen formalen Dogmatismus ab. Gegenkultur ringt um den Begriff des Realismus.

Wobei Kultur für mich alle Künste und alle Wissenschaften umfasst – Gegenkultur wirkt der marktgerechten Zersplitterung und Isolierung der menschlichen Tätigkeiten entgegen, die sich der Selbsterkenntnis des Menschen widmen. Dialektisches Denken mit dem Wissen vom Gesamtzusammenhang kann es sich nicht leisten, Künste und Wissenschaften gegeneinander auszuspielen. Die gegenkulturelle Bewegung sieht den Menschen als biopsychosoziale Einheit in lebenslanger Entwicklung. Ästhetische, kognitive und ethische Dimensionen der Wahrnehmung und des Handelns sind untrennbar miteinander verbunden. Gegenkultur trifft den Menschen als ein Ganzes auf dialektisch-materialistischer Basis. Kultur wird nicht mystifiziert, das Wunderbare liegt im Konkreten. Das Gelungene in der Wissenschaft wie in der Kunst ist immer zum Wohle des Menschen nutzbar – es muss aber getan werden.

Wohin führt der Weg? Gegenkultur ist kein Selbstzweck. Unser Ziel: Letztendliche Aufhebung der gegenkulturellen Bewegung in einer neuen humanistischen Kultur. Gegenkultur ist Teil revolutionärer gesellschaftlicher Umwälzung.

Rolf Becker
Schauspieler

Foto: Susann Witt-Stahl

Foto: Susann Witt-Stahl

»Die Kultur ist gerettet, wenn die Menschen gerettet sind« (Brecht) – die Zeitschrift Melodie & Rhythmus erhalten und entwickeln, jeden Ansatz zur Rettung von Menschen und Menschenrechten unterstützen, im Mittelmeer, in Palästina, in ausgeplünderten Ländern weltweit. Gegenkultur statt Verschleiß im Bemühen, bürgerliche Kultur durch Zugeständnisse und Kompromisse zu verteidigen.
Mein Abo, Dein Abo, unser Abo – Ansätze zur Verständigung, zum Aufbruch ins Wir.

Erich Schaffner
Schauspieler

Erich Schmeckenbecher (Zupfgeigenhansel)
Liedermacher

Foto: H. Minch

Foto: H. Minch

Als Friedrich Schiller im Mai 1798 in Jena seine akademische Antrittsvorlesung hielt, referierte er über den sogenannten »brotgelehrten« Wissenschaftler, der nicht für die Wissenschaft, sondern ausschließlich von ihr leben möchte. Der berufliche Ehrgeiz ist also mehr auf Fürstenlob, Zeitungslob und Gold ausgerichtet als auf die Forschung selbst. Sie ist dabei lediglich Mittel zum Zweck und so beliebig dehnbar.

Inzwischen sind bald 230 Jahre vergangen, und es wimmelt heute nur noch so von »Brotgelehrten«. In allen Berufen. Freilich auch in der Kultur. Sie ist inzwischen still und leise längst auch zur käuflichen Ware mutiert, in der es nahezu nach dogmatisch religiösen Maßstäben, fast nur noch um Verkaufszahlen, sprich »Gold«, »Zeitungslob« und »Fürstengunst« geht − also um die Gunst der Mächtigen. Dort beherrscht die Quote als Götterspeise den Speiseplan mit der Glotze als Altar und den entsprechenden Promis als Priester. Sie dienen als Zwischenwirt und Trichter auf dem Weg zum privaten Konto einiger weniger. Das dort Genehme wird dann produziert, bepreist und promoted, bis der Arzt kommt. Und dann selbstverständlich gemolken, bis die Kuh tot umfällt.

Ob mit Charity, mit menschenverachtenden, rassistischen, sexistischen, brutalen oder einfach nur brunzdummen Inhalten, ist völlig egal. Die Kollateralschäden auch. Kultur wird heute nach radikaler Marktförmigkeit mit größtmöglicher gemeinsamer Oberfläche bemessen. Nicht aus demokratischen Gesichtspunkten, sondern aus kommerziellen. Große Auflage = große Kunst! Punkt!

»Wollt ihr Tonträger verkaufen oder Kunst machen«, war schon in den 80ern des letzten Jahrhunderts die wichtigste Frage in den Chefetagen fetter internationaler Major-Schallplattenfirmen. Adornos Résumé über Kulturindustrie war (und ist) dort selbstverständlich völlig unbekannt. Und wenn es doch bekannt war, so wurde die Abhandlung entweder total ignoriert, bis aufs Blut bekämpft, verleumdet, verlacht, oder man war intellektuell damit völlig überfordert.

Dass aber gerade sich diese radikale Marktförmigkeit mit rechtsextremem Gedankengut auf Augenhöhe befindet, ist längst wissenschaftlich erwiesen. Mehr noch: Sie dient geradezu als Nährboden für Hass, negative Vergesellschaftung (Rassismus), Wut auf Anderes, pseudo-völkisch Identitäres, Nationalistisches usw. Das eigene Geschäftsmodell geht über alles. Freiheit als Waffe gegen die Demokratie, in der die Menschen mit Konsum komplett plattgekloppt, endlich wieder bereit sind, gefügig einem alleinherrschenden Alleswisser zu folgen. Ganz nach US-amerikanischem (oder türkischem) Vorbild.

Öffentlich-rechtliche Medien, also WIR (der Staat) schützen, fördern und verbreiten die Mainstream-Industrie aus Gründen der »Demokratie«. »Die Mehrheit der Menschen in diesem Lande wollen das haben …«, so die These. Der eigentlich gesetzlich verankerte kulturelle Auftrag wandert so ganz pragmatisch über die Quote an den Katzentisch und wendet sich gegen sich selbst. Und Kultur blüht nur noch als »romantische« Idylle, als Wohlfühloase, als Massenprodukt und Geldmaschine der Macher in den Kampfschunkelarenen jeglicher Art. Dabei ist der Begriff »romantisch« ganz bewusst und schon längst durch schlichte Umdeutung vereinnahmt, zurechtgestutzt und auf das Nutzbare im trügerischen Mantel einer Pseudo-Wahrheit verkommen − alles nur dem »Volk« zuliebe?

Kultur gedeiht aber nicht durch marktförmiges Mehrheitsgesülze. Das wäre ihr Ende. Denn Kultur, also Romantik, ist nichts weiter als »harte Arbeit an der Bedeutsamkeit der Welt mit den Mitteln der Fantasie (Jürgen Goldstein)«. Eine individuelle Leistung. Sie hat den Auftrag, sich persönlich auf die Suche nach Neuem, nach einer besseren Welt − nicht nur für sich selber, sondern für alle − zu beschäftigen und Vorschläge zu machen.

Das Interesse, hinter den Vorhang zu schauen, um eben die ganze Wahrheit zu ergründen, also eine romantische Sicht auf die Dinge zu haben, ist aus der Mode gekommen (worden) und für eine erlebnisorientierte, verwertbare Welt der profitablen Idylle zugerichtet und eingedampft. Es blüht das pragmatische »Wahr ist, was mir nutzt«. Überall. Alleinherrschend. Auch politisch. Die Brotgelehrten samt dem daraus resultierenden Populismus mit ihren niederträchtigen Speerspitzen lassen international grüßen.

Wir erleben seit Jahrzehnten diese Vervielfältigung der Einfalt in immer radikaler werdender Art und Weise auf breitester Basis. Inzwischen blüht auf diesem Mist eine ungehemmte Niedertracht − egal, wohin man schaut. Faktenfern. Von narzisstischer Gier getrieben.

Die Nischen für Widerspruch, für Alternatives werden immer kleiner, wenn möglich komplett verdrängt oder aus ideologischen Gründen regelrecht systematisch ausgetrocknet. Die Ökonomie des »freien Marktes« bestimmt über die Existenz. Ausschließlich! Ohne Moos nix los.

Konkurrenz belebt hier nicht, wie immer behauptet. Sie tötet. Sie belebt lediglich ein sogenanntes »bürgerlich-nationalistisches Erwachen«, das Wohlgefühl von Spießern, die sowieso zu allem Relativen ein absolutes Verhältnis haben.

Und da bin ich nun beim Thema Melodie & Rhythmus. Ich habe gleich mal ein Abo auf unbestimmte Zeit abgeschlossen! Denn wer in marktradikalen Zeiten wie diesen nicht nur brotgelehrte Zeitschriften lesen möchte, wer Meinungsvielfalt und Widerspruch haben will, der muss das tun!

M&R war hier immer Vorbild, Sand im Getriebe, eine Ausnahme. Romantisch im eigentlichen Sinne. Und so soll es auch bleiben.

»Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd«, sagt ein asiatisches Sprichwort.

Ich bin gerne bereit, mit einem Abo schnell wieder in den Sattel zu helfen.

Also, ihr Leute da draußen! Was ist mit euch? Abonniert und helft, damit wenigstens etwas Vielfalt in dieser immer weiter sprießenden Welt der Einfalt erhalten bleibt!

Master Al
Rapper

Michel Chevalier
Musiker

Michel Chevalier

Foto: unlimited liability

Um die Rolle und den Beitrag von Gegenkultur heutzutage auszumachen, hat es vielleicht Sinn, einen kleinen Umweg in die Geschichte zu machen und mit der Kultur als Begriff zu beginnen.

»Es ist dies der Grundgedanke der Kultur, insofern diese jedem einzelnen von uns nur eine Aufgabe zu stellen weiß: die Erzeugung des Philosophen, des Künstlers und des Heiligen in uns und außer uns zu fördern und dadurch an der Vollendung der Natur zu arbeiten.«
Dieses Zitat aus dem Jahr 1876 könnte leicht umformuliert auch aus Feuilletons, von Websites oder Kulturverwaltern aus unserer Gegenwart stammen. Es ist aber von Friedrich Nietzsche, dem großen Bejaher der Sozialhierarchien.

Eine entgegengesetzte These bringt der französische Kommunist und Schriftsteller (und ehemalige Philosophiestudent) Paul Nizan in den 1930er-Jahren so auf den Punkt:

»Zwischen der Kultur, ihrem Erbe, unter dem Zeichen ihres Erbes, und der proletarischen Masse von Nicht-Erben ist keine Versöhnung möglich, denn die Kultur ist ein Wertesystem, das gegen das Proletariat gerichtet ist und so unweigerlich bleiben wird.«

Diese Positionierung kommt im Zuge einer radikalen Infragestellung von bürgerlicher Kultur aus Bewegungen wie Berlin Dada oder der sowjetischen Avantgarde in den Nachkriegs-1920ern.

Diese Kritik durchläuft die kriegstraumatisierten 1950er und erreicht dann eine Art Höhepunkt zwischen Mai 1968 und dem Punk in den 1970ern – inmitten intergenerationeller Kämpfe und einer Kette von Krisen im westlichen Kapitalismus. Beatniks, Hippies, Feministinnen, die Black-Power-Bewegung und Punks delegitimieren das herrschende Legitime und verteidigen das von den herrschenden Kräften (Staat, Medien) als illegitim Empfundene, während die dominanten Schichten stets zurückschlagen. Dieses fortdauernde Ringen um Sichtbarkeit und Bedeutung stellt die Frage der Gegenkultur in den Mittelpunkt.

Folgender Austausch zwischen zwei Soziologen von 1984 – dem Jahr der Wiederwahl von Ronald Reagan – resümiert, worum es geht:

»Frage (Didier Eribon): Was könnte denn unter diesen Umständen eine wirkliche, eine echte Gegenkultur sein?«

Antwort (Pierre Bourdieu): Ich weiß nicht, ob ich diese Frage beantworten kann. Sicher bin ich mir nur darin, dass der Besitz von Waffen zur Verteidigung gegen die kulturelle Herrschaft, gegen die Herrschaft, die sich vermittels der Kultur in deren Namen vollzieht, Teil der Kultur selbst sein muss. Eine derartige Kultur muss in der Lage sein, Kultur zu verfremden, sie zu analysieren und nicht umzukehren oder, genauer, ihr eine umgekehrte Form aufzudrücken. In diesem Sinn ist mein Buch [»Die feinen Unterschiede«, 1979] eines über Kultur und Gegenkultur, gehört es zur Kultur und Gegenkultur. Generell meine ich, dass eine wirkliche Gegenkultur Waffen gegen die weichen Formen der Herrschaft an die Hand geben muss […] Kurz, es geht darum, die Verbreitung der Verteidigungsmittel gegen die symbolische Herrschaft zu gewährleisten.«

In ihrer eigenen Art und Weise hebt sich Melodie & Rhythmus von anderen Musik-und Kulturzeitschriften ab, indem sie eine Vielfalt von kritischen Stimmen bietet, die heutzutage eben im Sinn von (Selbst-)Verteidigung nützlich sein können. Nicht zuletzt, insofern M&R einen zweiten Blick auf »alternative« Ansätze wirft, die sich eigentlich als Fehlschläge oder Sackgassen erwiesen haben. Ein aktuelles Beispiel: Thomas Koppenhagens Rezension des Buches »Das ist DAF« (M&R 1/2018).

Selbstverständlich arbeiten viele Musiker mit einer Art Verteidigung, indem sie 90 Prozent der Mainstreammusik negieren und stattdessen das herausdestillieren, was sie als besonders empfinden – was sie weitertreibt, um mit Idealismus Musik zu machen. Es war großartig für mich, Rezensionen für Bands wie Massicot, Hunger, KURWS, The Ex, The Alliteration, und Powerdove in M&R zu schreiben, und ich hoffe, das Magazin hält durch und bleibt ein Ort, wo solche Bands wertgeschätzt und diskutiert werden.

 

Gina Pietsch
Sängerin und Schauspielerin

Foto: Christina Kurby

Foto: Christina Kurby

Wenn ich mit Brechts »Ballade vom Wasserrad« singe, dass wir keine andern Herren brauchen, sondern keine, dann ist das Gegenkultur, bei Brecht 1933, für mich seit 1972 und bis heute. In den Medien war es mit mir das letzte Mal 1989 als Mitschnitt aus der Volksbühne beim Festival des politischen Liedes. Ihr könnt es sehen. Heute nun schielen auch die Öffentlich-Rechtlichen mehr nach der Quote, weil, wie Gundi so schön sagt: Jede Zote hebt die Quote. Wer das anders sieht, gehört zu den Übriggebliebenen, die noch was wollen darüber hinaus, auch über den Spaß hinaus. Der Spaß am Denken hat das Stigma des Unmodernen, »Mega-Outen« weg, abgedrängt in den Hintergrund, verdrängt durch x anders Spaßiges, die Droge, die Dummheit, freilich auch durch Schönes, den Sex, das Kochen, das Reisen, in jedem Falle das »Ich« und alles zum Vermarkten da. Ich habe nie ausgelernt, was die Bühne betrifft, aber das Vermarkten lerne ich nicht mehr, übrigens auch nicht im übertragenen Sinne. Ich weiß, dass der Mainstream mit mir nichts anfangen kann, aber ich kann mit ihm auch nichts anfangen. Und im Übrigen: Einschaltquoten sind mir genauso wurscht wie den Machern von »volkstümlichen« Sendungen die wirklichen Bedürfnisse des Volkes. Das Volk ist nicht tümlich, hat Brecht mal gesagt, und das ist eine der schönsten Arroganzen, die ich kenne.

Also, wir meinen, dass eine Politik im Sinne der Unteren nicht möglich ist ohne Kultur und Kunst. Die Politik derjenigen, die die herrschende Klasse unterstützen, macht das ohnehin. Freilich scheinbar unpolitisch. Man muss nicht Psychologe sein, um zu wissen, wie politisch sich dieser Trick auswirkt. Ich denke, dass wir, die wir das Herz links haben, auf Kunst und Kultur und deren Darstellung in Projekten wie Melodie & Rhythmus überhaupt nicht verzichten können.

Denn es geht weiter, in den Sälen, die freilich kleiner werden, treffe ich immer wieder auf Leute, die sich nicht verblöden lassen wollen. Und für die lohnt sich’s, hier in Berlin, in Lörrach, in Nürnberg, in Hof oder …

Ilija Trojanow
Schriftsteller

Foto: Promo

Foto: Promo

Jetzt noch, und morgen nicht mehr? Morgen vielleicht schon, aber übermorgen gewiss nicht? Oder heute auch schon nicht mehr, nicht wirklich?

Wenn eine wichtige kritische Stimme verstummen soll, ist dies Ausdruck des Verlusts an Zukunft, den wir gegenwärtig erleben. Aus Mangel an Alternativen zum neoliberalen Ausbeutungs- und Herrschaftssystem klammern wir uns an das Ungenügende, weil uns das Ungewisse Angst machen.

Jetzt schon nicht mehr, und morgen erst recht nicht. Morgen ist zu spät, übermorgen wird nicht kommen! Oder heute schon, wann wenn nicht heute.

Wir benötigen in den Medien visionäre und emanzipatorische Projekte. Wir benötigen Zeitschriften wie Melodie & Rhythmus. Für die Zukunft, die es wiederzugewinnen gilt.

Aernschd Born
Liedermacher

Moshe Zuckermann
Kunsttheoretiker

Steffen Diemer
Fotograf

King Veganismus One & Dr. Alsan
Rap-Combo

Esther Bejarano
Sängerin

Foto: Susann Witt-Stahl

Foto: Susann Witt-Stahl

In finsteren Zeiten von Demokratieabbau, Kriegsgeheul und gefährlicher Rechtsentwicklung in diesem Land brauchen wir auch auf kultureller Ebene eine starke Opposition. Wenn alte und neue Faschisten in den Straßen rassistische, antisemitische und fremdenfeindliche Parolen grölen, schutzsuchende Flüchtlinge in den Parlamenten zu Feinden erklärt und die muslimische Bevölkerung in dem Medien mit Karikaturen in »Stürmer«-Manier verfemt wird, dann müssen Künstler und Kulturschaffende lautstark Einspruch erheben: Mit Poesie, die von einer menschlichen Gesellschaft erzählt, in der nicht das Recht des Stärkeren und des Brutaleren regiert, mit Bildern von einer Welt ohne Gewalt und Hetze, in der man ohne Angst verschieden sein kann.

Das Magazin Melodie & Rhythmus hat nicht zuletzt durch ihre Ausgaben über Musik gegen den Nazi-Terror und gegen die schrecklichen neuen »Rechten Töne« bewiesen, dass sie ein kompetentes und starkes Organ antifaschistischer Gegenkultur in Deutschland ist. Liebe Freunde, das allein ist schon Grund genug, gemeinsam dafür zu kämpfen, dass M&R weiter erscheinen kann. Ich habe gerade ein Perspektiv-Abo gezeichnet. Bitte helfen auch Sie mit!

Cressy Jaw
Alternative-Rock-Band

Foto: ChristianBuseck

Foto: ChristianBuseck

Gegenkultur bedeutet für uns in erster Linie, dass sich Kulturschaffende als Teil der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse begreifen, Herrschaftsverhältnisse aufzeigen und diese zur Debatte stellen. Das klingt zunächst abstrakt, allerdings kennen vermutlich viele von uns Künstler oder Bands, deren Texte und Werke das eigene Bewusstsein über das Leben in den bestehenden Verhältnissen in den verschiedensten Formen geprägt haben. Wichtig hierbei: Durch Musik und Kunst kann ein positives Moment der Reflexion angeregt und damit auch eine Veränderung der bestehenden Zustände angestoßen werden. Gegenkultur ist somit nicht nur »gegen« die bestehenden Herrschaftsverhältnisse und eine totale Verwertungslogik gerichtet, sondern umfasst für uns auch den kreativen Teil eines Schaffensprozesses innerhalb der Kunst. In diesem können Freiheit und Individualität wirklich zu Tage treten und Menschen gleichzeitig für ein solidarisches Miteinander eintreten.

Dass es nicht sehr gut um eine solche Gegenkultur bestellt ist, zeigt sich derzeit leider an allen Ecken und Enden. In der BRD ist die AfD-Fraktion im Bundestag gelandet, die bayrische Landesregierung hängt derzeit überall Kreuze auf, und die gesellschaftlichen Verwerfungen finden ihren Ausdruck immer öfter in tiefsitzenden rassistischen, antisemitischen und antiislamischen Erscheinungsformen. Dem gilt es sich zu widersetzen und etwas entgegenzustellen: eine Hoffnung auf Solidarität, die trotz aller Ungleichheit zwischen den Menschen auf die Möglichkeit eines friedlicheren und solidarischen Lebens hindeutet.

Die Melodie & Rhythmus ist eine der wenigen unabhängigen Zeitschriften, die sich als Teil einer linken Gegenkultur begreifen. Daher sind wir solidarisch mit den Anstrengungen zur Wiederaufnahme ihrer Produktion. Es ist wichtig, solche linken Kultur- und Meinungsmedien zu erhalten, nicht nur um die bestehenden Verhältnisse zu kritisieren, sondern auch um den Diskurs über eine andere Gesellschaft zu ermöglichen und voranzutreiben.

Hanns-Werner Heister
Wissenschaftler mit Schwerpunkt Musik

Foto: privat

Foto: privat

Melodie & Rhythmus muss bleiben bzw. wieder auferstehen. M&R ist – ich sage nicht: war – eine der letzten deutschsprachigen Zeitschriften, die das gesamte Feld der Musik und Musikkultur bearbeitet, von Populärmusik zwischen Arbeiterlied und Pop bis zu Klassik zwischen Wiener Klassik und aktueller musikalischer Avantgarde. M&R bearbeitet diese vielfältigen Bereiche unter einem prismatisch aufgefächerten, aber doch einheitlichen Gesichts- und Standpunkt. Bei M&R ist beides entschieden links. Für M&R, für Musik & Revolution und deren Verbindung, Existenz und Entwicklung scheint mir das entscheidend.

Links ist entgegen der verbreiteten Meinung sowohl noch aktuell als auch durchaus definierbar, nicht zuletzt als das Gegenteil von rechts, das es ja auch noch gibt. Links heißt: Arbeit, Anmut und Mühe für die Gleichheit, Freiheit und Geschwisterlichkeit aller Menschen – und zwar universalistisch wirklich aller –, gegen rechtes Festhalten an oder Verfestigen von Ungleichheit, ob rassistisch definiert oder sozialdarwinistisch, von Unfreiheit als Unterwerfung unter entfremdete Verhältnisse, von nationalistischer und partikularistischer Un- und Anti-Solidarität.

In einer Zeit am Beginn des dritten Jahrtausends nach unserer Zeitrechnung, in der »Reformen« einen rabiaten Sozial- und Kulturabbau meinen; in einer Zeit, in der Krieg trotz aller Ächtung durch Völkerrecht wie menschliche Vernunft imperialen Staaten wieder als fragloses, geradezu »natürliches« Mittel internationalen Verkehrs gilt; in solchen Zeiten scheint es an der Zeit, einmal mehr an elementare Wahrheiten zu erinnern. Eine wesentliche ist die, dass die Mehrheit der Menschen gemäß ihrer Trieb- wie Vernunft-Natur ein Leben in Frieden, Freiheit und Sicherheit wollen, in Geschwisterlichkeit und ökonomisch-sozialer und politischer Gleichheit als Grundlage für die Entwicklung individueller Verschiedenheiten. Voraussetzung dafür wiederum ist die Entfaltung einer wirklichen Weltgesellschaft. Die »Globalisierung« ist ein Weg in diese Richtung. In der gegenwärtig herrschenden Form geht sie freilich, etwa durch die geopolitisch und »marktwirtschaftlich« motivierten Kriege, viele Irrwege. Manche davon führen sogar in die Gegenrichtung, in Abgründe und Katastrophen. Der Kampf gegen Kriege im Interesse historisch überholter Herrschaft und für einen dem humanen Fortschritt förderlichen Frieden ist eine wichtige Funktion vieler Kunst und alt, ebenso der Kampf für eine Gesellschaftsordnung, die dafür die Grundlage bildet. Die »marktwirtschaftliche« ist das sicher nicht. Die alten und neuen Argumente sind zahlreich und vielfältig. Dazu zählt auch Theodor W. Adornos treffende Antwort »auf die Frage nach dem Ziel der emanzipierten Gesellschaft«, nach der konkreten Utopie: »Zart wäre einzig das Gröbste: dass keiner mehr hungern soll« (in »Sur l’eau« in den »Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben«). Dazu zählt schließlich Hanns Eislers Gedanke in seinem letzten vollendeten Werk, den »Ernsten Gesängen« (1942/1962). Für die Nr. 4 formuliert er Zeilen aus einem Liebesgedicht von Helmut Richter verallgemeinert politisch um: »Leben, ohne Angst zu haben.« Leben ohne Hunger steht dabei als Chiffre für die ökonomische, soziale und kulturelle Dimension der Lebensweise, Leben ohne Angst für die politische Dimension. Beide bezeichnen wesentliche Bedürfnisse. Diese bilden ihrerseits Grundlage und Ausgangspunkt für individuelle wie gesellschaftliche Selbstverwirklichung. Wenn wir Grundbedürfnisse erweitert fassen, ist hierfür ebenfalls substanzielle Kultur erfordert. Diese samt der zugehörigen welthaltigen, differenzierten, humanen Kunst werden wir zur paradoxen Kategorie des notwendigen Luxus zählen dürfen.

M&R ist eine der wenigen Zeitschriften, und im Hinblick speziell auf Musik, wie gesagt, wohl die einzige deutschsprachige, die konsequent links für eine Musik gegen Unfreiheit, Krieg, überholte Herrschaft plädiert und gegen neoliberale Kulturzerstörung für eine »Verteidigung der Kultur« wie schon 1935 der Schriftstellerkongress gegen den Faschismus. M&R befasst sich auch mit Künsten und Kulturellem jenseits der Musik. M&R könnte diese Dimension der Einbeziehung von Literatur, Musik-, Tanz-, Sprech-Theater, Kabarett und andere »Kleinkünste«, bildende Kunst nach der Auferstehung noch mehr ausbauen und damit möglicherweise ein noch breiteres Publikum und zusätzlich zu den alten neue Freunde gewinnen. M&R würde, wenn die Zeitschrift wirklich unterginge, nicht nur eine Lücke hinterlassen. M&Rs Untergang wäre vielmehr ein fühlbarer Verlust. M&R, von links her auf Musik & Revolution in ihrer ästhetischen, sozialen und globalen Vielfalt und andere Künste bezogen, muss also erhalten bleiben und weitergehen.

Dietmar Dath
Schriftsteller und Publizist

Foto: Christian Ditsch

Foto: Christian Ditsch

Es gibt einen Begriff und eine Praxis der Gegenkultur, die sich von vornherein selbst zur Niederlage verurteilen. Richtig gesehen wird von ihnen nur, dass die etablierte, die von den besitzenden sowohl geförderte wie ausgebeutete Kultur ein Betrug und eine Schweinerei ist. Kultur ist vom Moment der bürgerlichen Selbstemanzipation an nicht mehr, wie in der Sklavenhaltergesellschaft und im Feudalismus, um die Religion herum organisiert, sondern um die Kunst. Zur Kunst gehört ganz wesentlich das Gelungene, selbst wenn es sich um einen gelungenen Albtraum handelt. Aus all diesen richtigen Sätzen nun schließen der falsche Begriff und die falsche Praxis der Gegenkultur, man müsse das Gelungene verweigern, dann verweigere man die Kunst und damit die bürgerliche Kultur, und dann müsse der ganze Dreck doch zusammenbrechen – Kunst ist Glücksverheißung, im Kapitalismus also Lüge, und wer die Lüge sabotiert in Form der Sabotage der Kunst, so meinen die Fehlgeleiteten, leiste einen Beitrag zur Zerstörung des schlechten Vorhandenen. Gegenkultur ist für diese schiefe Denk- und Handlungsweise, wenn die Musik missraten ist und das Bild ein Geschmier, der Roman ein Gestotter und der Theaterabend ein fahriges Alle-gegen-Niemanden. Neulich saß ich in einem bürgerlichen Fernsehstudio und sollte über Marx diskutieren. Hinter dem Studio, im Vorbereitungszimmer für diejenigen, die an der Debatte teilnehmen würden, kam ich mit einer Sängerin aus der alten Bundesrepublik ins Gespräch, die ich zu Unrecht für politisch naiv gehalten hatte. Es stellte sich heraus, dass sie das nicht wahr. Überall gibt es solche Leute, alte und junge, denen man nicht sofort ansieht, dass sie Genossinnen und Genossen sind oder sein wollen. Auf der Rückseite einer alten Ausgabe von Melodie & Rhythmus aus der DDR fand ich nach dem Fernsehabend zufällig ein Foto dieser Sängerin. Sie liebt das Gelungene und versteht sich darauf. Ihre Kunst ist Gegenkultur, weil sich die Künstlerin einer politischen Tradition verpflichtet fühlt, die das Glücksversprechen aller Kunst nicht zerstören, sondern halten will. Politische Aussagen können dabei helfen, wenn sie in der Kunst vorkommen, aber der Ernst, der dem Etablierten einfach per Vergleichsangebot vorhält, dass es das Glücksversprechen eben nicht halten will, dass es das Glück selbst dauernd ironisieren, davon verdruckst nuscheln oder anderweitig von ihm abrücken muss, selbst in seinen gelungensten Hervorbringungen, ist die wichtigste Waffe der Gegenkultur.

Laut Fragen
Postpunk-Musik- und Performanceprojekt

Hartmut Kiewert
Maler

Hartmut Kiewert Ruine II, 2017, Öl auf Leinwand, 60 x 80 cm

Hartmut Kiewert Ruine II, 2017, Öl auf Leinwand, 60 x 80 cm

Gegenkultur bedeutet für mich, der Revolte gegen die bestehenden Verhältnisse eine Form zu verleihen. Das kann in künstlerischen Bereichen etwa mittels Literatur, Musik, Theater, Film oder bildender Kunst stattfinden, aber auch auf der Ebene gesellschaftlicher Reproduktion, wie bei Ansätzen solidarischer (bio-veganer) Landwirtschaft, Foodcoops, Umsonstläden usw. sowie auf politischer Ebene durch widerständige Aktionsformen, welche wiederum auch künstlerische Elemente, wie beispielsweise Straßentheater und Kommunikationsguerilla aufnehmen können.
Am konsequentesten und praktischsten ist Gegenkultur meines Erachtens dort, wo Menschen ihr alltägliches Leben weitgehend unabhängig von Geld (durch Containern, gegenseitige Hilfe und Solidarität) organisieren und durch verschiedene (direkte) Aktionen, etwa der Wahl ihres Wohnortes in einem Wald, der abgeholzt werden soll, unmittelbar den zerstörerischen Verwertungsinteressen des Kapitals im Wege stehen. Hier wird anhand der Repression, die diesen Menschen entgegenschlägt auch schnell deutlich, wo die Grenzen der Duldung von Gegenkultur innerhalb von Marktwirtschaft und Demokratie liegen.

Solange wir nicht in einer befreiten Gesellschaft leben, ist Gegenkultur notwendig. Gerade heute angesichts wachsender Naturzerstörung, Kriegen, Ausbeutung von Menschen und nichtmenschlichen Tieren in gigantischen Ausmaßen, ist eine Gegenkultur unabdingbar, die diese Verhältnisse nicht als scheinbar naturgegeben hinnimmt, sondern auf der Möglichkeit und Notwendigkeit beharrt, Ausbeutung und Herrschaft zu überwinden. Die Bewältigung der aktuellen Krisen darf weder der offen rassistischen Neuen Rechten überlassen werden noch den sonstigen Parteien, die ebenfalls nationale Standortpolitik und Kapitalakkumulation allen anderen Interessen überordnen und damit die ökologische und soziale Krise nur weiter verschärfen. Wir brauchen viel mehr gegenkulturelle Perspektiven und praktische Ansätze jenseits von Staat, Nation und Marktwirtschaft.

Damit sich gegenkulturelle emanzipatorische Perspektiven und Entwürfe auch verbreiten, diskutiert werden und weiterentwickeln, sind Magazine wie die Melodie & Rhythmus in der ansonsten eher lifestyle-fokussierten Zeitschriftenlandschaft wichtig. Es wäre schade, wenn es kein (größeres) Kulturmagazin mehr gäbe, das auch über praktische Formen von Gegenkultur, wie die Besetzung im Hambacher Forst oder die Tierbefreiungsbewegung, berichtet und sich für diese stark macht.

Dave Phillips
Noise-Musiker und Komponist

Foto: Randy Yau

Foto: Randy Yau

»gegenkultur« ist irgendwie keine glückliche wortwahl, aber scheinbar nötig, um etwas gegenteiliges darzustellen zu dem, was aus dem begriff »kultur« geworden ist. denn »kultur« beschreibt meist nicht mehr, was sie sein sollte, ist größtenteils instrumentalisiert und verwässert worden, ist meist nichts weiteres als ein produkt, dem diktat des marktes unterworfen.

ein wichtiger aspekt ist wohl der antrieb: was den markt antreibt, ist profit. das sollte sich dann auch »markt« nennen, sollte nicht mit kultur verwechselt werden. der markt täuscht aber gerne; das ist eine seiner strategien, denn das maximiert oft den profit. man sollte den markt nie unterschätzen, er ist fähig, sich jede noch so gute idee oder subkultur anzueignen und daraus nicht mehr als ein weiteres produkt zu machen – das beim ungenauen betrachten nicht als solches erkannt wird. es wird dann beworben mit worten wie »liebe« und »freiheit« – als ob man so etwas kaufen könnte. das verrückte ist, dass es menschen gibt, die darauf reinfallen. aber ich komme vom thema ab …

was sollte denn kultur antreiben? was sollte kultur sein? da gibt es wohl keine objektive antwort. meines erachtens ist kultur gleichermaßen eine inhärente, evolutionäre notwendigkeit wie auch ein auftrag. der kulturauftrag besteht vielleicht darin, kritisch zu sein, zu fragen, zu hinterfragen, der sogenannten realität ein fragezeichen anzuhängen. das heißt, beschränkungen aufzuzeigen, aber auch neue perspektiven zu erlauben, anzuecken, grenzen zu durchleuchten, schranken zu durchbrechen, regeln neu zu definieren, der neugier und dem wissens-und erfahrungs-hunger raum zu geben, um neues zu erfahren, um zu erkunden, um visionen auszuprobieren, zu testen, weiter zu denken und zu fühlen, um muster und gewohnheiten zu untersuchen, um freiheiten und befreiungen zu ermöglichen, um das bewusstsein zu kitzeln, es zu verändern, sich zu entwickeln, zu lernen …

der »künstler« oder die »künstlerin«, ist dann vielleicht jemand, ein teil eines sozialen bzw. gesellschaftlichen kontextes, der oder die in diesem sinne beiträge leisten kann, an sein oder ihr direktes umfeld gerichtet, und dabei verantwortlich ist, kritisch zu sein, die eigene stimme gebrauchend, die gesellschaft, verhalten und muster hinterfragend und so auch vorantreibend, inspirierend … und so zur evolution dieser spezies beiträgt, und damit zum leben und zusammenleben auf diesem planeten. kultur und ihre erneuerung ist nichts weniger als eine der wichtigsten kräfte, die diesen lernprozess, die die menschliche evolution, antreibt.

was kultur sicher nicht sein soll, ist etwas von markt-denken getriebenes. sobald diese ebene dazu kommt, verwässert sich die intentionalität von kultur. Natürlich vollzieht sich die realität dieses umgangs vor allem in endlos nuancierten grau-schattierungen und nicht in den hier beschriebenen schwarz-weiss-extremen. aber die intentionalität und ehrlichkeit von konstruktiver kultur geht meist verloren, wenn profit- oder profilierungs-denken mitschwingen. leider ist, was sich heutzutage »kultur« nennt, oft nichts anderes als kommerz.

was uns angeboten wird, sind oft als »kultur« verpackte schnuller, die uns besänftigen und uns trösten sollen − als ausgleich für die vielen arbeitsstunden, die wir für unser hart erarbeitetes geld geleistet haben, und falls der sonstige konsum mit diesem geld uns doch nicht ganz so glücklich macht, wie wir es uns erhofft hatten.

das diktat des marktes, die profitorientierte mentalität ist eine der destruktivsten und respektlosesten kräfte unserer zeit. profit ist mittlerweile wichtiger als das leben selber. so etwas sollte nicht mit kultur verwechselt werden − und nicht mit leben.

kultur sollte antreiben, die existenz und deren möglichkeiten intensiv zu erleben, zu untersuchen und zu hinterfragen, um dann jenseits von möglichen antworten weiterzuschauen − weil das menschliche potenzial doch noch so viel mehr zu bieten haben muss. der mensch, ein sehr junges tier, steht erst am anfang seiner entwicklung.

kultur hat mit wahrnehmung zu tun. die qualität der aufmerksamkeit definiert die qualität des erlebens, des zuhörens und des verstehens. und »verstehen« ist bei weitem nicht nur eine logische, eine rationale angelegenheit.

»da gibt‘s doch noch viel mehr, nicht?«

Melodie & Rhythmus ist einer der vermittler dieser art von wahrnehmung. die wichtigkeit dieser arbeit kann gar nicht genug betont werden – und sollte allen, die diese zeilen lesen, mittlerweile klar genug sein. eine solche vermittlung verdient respekt und unterstützung.

Das Magazin Melodie & Rhythmus hat nicht zuletzt durch ihre Ausgaben über Musik gegen den Nazi-Terror und gegen die schrecklichen neuen »Rechten Töne« bewiesen, dass sie ein kompetentes und starkes Organ antifaschistischer Gegenkultur in Deutschland ist. Liebe Freunde, das allein ist schon Grund genug, gemeinsam dafür zu kämpfen, dass M&R weiter erscheinen kann. Ich habe gerade ein Perspektiv-Abo gezeichnet. Bitte helfen auch Sie mit!

David Rovics
Singer-Songwriter

Foto: Tatjana Ingold

Foto: Tatjana Ingold

Das beliebteste Thema von Tweets sind Fernsehshows. Soziale Medien mögen manchen Leuten das Gefühl geben, dass sie außerhalb der TV-Box denken, aber meistens ist das eine Illusion. Wir brauchen heute mehr denn je bewusst alternative Plattformen für den Austausch von Musik und Gedanken, die offensiv die Leere der Popkultur kritisieren − Plattformen, die bewusst ein integratives und kooperatives Modell für das Zusammenleben von Menschen in einer globalen Gesellschaft einbeziehen. Da eine nach der anderen von der neuen »freien« Wirtschaft aufgesaugt wird, gibt es von Jahr zu Jahr immer weniger solcher Plattformen. Lassen Sie uns sicherstellen, dass Melodie & Rhythmus nicht auch verschluckt wird!

Anja Panse
Schauspielerin und Regisseurin

Foto: Anja Panse

Foto: Anja Panse

Gegenkultur ist eine Strömung, die sich dem herrschenden System entgegenstellt − dem System des »alternativlosen« Kapitalismus. Eine lebendige Gegenkultur lässt andere gesellschaftliche Ideen zu, in denen der Mensch nicht der Profitmaximierung, dem Marktkonformismus und dem totalen Leistungsgedanken unterworfen ist, sondern dem Gedanken des sozialen Miteinanders und des Mitgefühls folgt.

Ist dies die Welt, in der wir leben wollen? Ist dies wirklich die bestmögliche aller Welten? Wer diese Frage mit NEIN beantwortet, für den ist Melodie & Rhythmus ein wichtiges Medium. Gerade wir politisch aktiven Künstler, ob im Theater, in der Musik oder im Film, brauchen alternative Medien, die auch über gesellschaftskritische, nicht konforme Kunst berichten. Denn Kunst und Musik können sehr viel bewirken in den Herzen und Hirnen der Menschen − jedoch nur, wenn sie auch wahrgenommen werden können.

Hier leistet M&R einen einzigartigen Beitrag als Vermittler und Multiplikator von gesellschaftskritischer Kunst und Musik, als aufklärerisches Medium und Sprachrohr Andersdenkender.

Wir brauchen die wenigen Stimmen in unserem Land, die sich um kulturelle Vielfalt bemühen, die eine Inspiration sind für all jene, die nach einer nachhaltigeren und sozialeren Entwicklung unserer Zivilisation streben.

Melodie & Rhythmus muss bleiben als Widerstand zum Establishment!

Che Sudaka
Cumbia-Skapunk-Band

Weber-Herzog-Musiktheater

Foto: Promo

Foto: Promo

Seit unserer Gründung in den 1980er-Jahren machen wir vom Weber-Herzog-Musiktheater unabhängiges, politisch engagiertes Musiktheater. Die muffigste Auffassung ist die, dass Oper und anderes Musiktheater veraltete und bürgerliche Kunstformen seien − zur Repräsentation für die ökonomischen Eliten. Die großen Musentempel bleiben der Masse der Menschen fremd und verschlossen, obwohl gerade das Musiktheater in der Kulturgeschichte der Menschheit einen großen Anteil an der gesellschaftlichen Entwicklung hatte (siehe Verdi und Mozart). Durch das Abschneiden dieser kulturellen Großtaten von der Mehrheit der Bevölkerung wird diese von ihren eigenen Leistungen und Errungenschaften entfremdet. Man könnte meinen, dass nur die untätig Reichen und Schönen die Bewahrer und Schöpfer der Kultur seien. Auf Grund dieser künstlichen sozialen Eingrenzung der Oper haben es sozialkritische und politische, und vor allem auf Veränderung zielende Stoffe und Inszenierungen schwer. Natürlich fürchtet die privilegierte Klientel Veränderungen ihrer luxuriösen Lage wie der Teufel das Weihwasser. Entsprechend werden Produktionen, die außerhalb dieser bourgeoisen Szene stattfinden, ignoriert, als Zeigefinger-Kunst diffamiert und kleingehalten. Deshalb brauchen wir ein Forum, eine Zeitschrift für Gegenkultur und setzen uns ein für die Wiederbelebung von Melodie & Rhythmus.

Bernd Köhler
Liedermacher

Foto: Sven Ehlers

Foto: Sven Ehlers

Nein, diese Zeiten sind nicht unsere. Fake News fressen uns die Hirne weg, und wo das Maul schäumt beim Kriegsbefehl ist kein Platz für Schuld beziehungsweise Schulden. OH JA, DAS LAND IST WIEDER WER – und selbst die Kunst ist wieder auf den Hund gekommen. Die Maler wedeln mit dem Schwanz und tanzen froh im völkisch-nationalen Reigen …

Während also die rechte Mischpoke (z. B. beim »Marsch der Patrioten« auf das Hambacher Schloss am 5. Mai) zunehmend die nationalistische Kultur-Trommel rührt, soll Melodie & Rhythmus, das einzig nennenswerte Magazin mit radikal linker Kultursicht, KURZ VOR DEM AUS stehen?! Man muss nicht Fan jeder Ausgabe oder Aussage des Magazins gewesen sein (dialektisch betrachtet wäre das sogar eine echte Katastrophe bzw. an Langeweile nicht zu überbieten), um zu erkennen, dass DAS ein erheblicher Verlust für Geist und Sinne und für den kulturellen Widerstand wäre. Ich z.B. vermisse schon jetzt die nicht erschienenen Schwerpunkthefte zur Kultur rund um die »48er Revolution« oder zu »Marx 200« … Nicht erschienen wegen aktueller finanzieller Krisis, worüber übrigens auch der ewig klamme Karl Marx einiges zu berichten hätte.

Die Rettung wären 1.000 neue Abonnements bis Ende Juni. Mehr als die Hälfte der benötigten Neu-Abos sind mittlerweile eingefahren. Jetzt liegt es an uns bzw. EUCH, das Blatt zu wenden und die Neustart-Taste zu drücken, meint: DAS BLATT ZU ABONNIEREN!!!

Haut rein, es geht ums Überleben − SO ODER SO!

Nicolás Rodrigo Miquea
Guitarist und Liedermacher

Faten El-Dabbas
Spoken-Word-Künstlerin

Foto: privat

Foto: privat

Kunst kann lediglich als Unterhaltungsfaktor dienen oder aber mehr erreichen und einem tieferen Zweck dienen. Gerade diesen Mehrwert gilt es anzustreben. Für mich enthält jede Kunst eine Botschaft. Sie gehört in einen größeren Kontext und sollte deshalb kritisch sein. Dies ist jedoch je nach Thema einfacher oder schwieriger. Gegenkultur bedeutet für mich Mut zur Kritik, dass ich meine Meinung öffentlich machen kann, auch und gerade weil sie nicht der Mehrheit entspricht. Gegenkultur öffnet unsere Augen.

Künstlerinnen und Künstler drücken die Realität mit all ihren Missständen aus und geben ihr eine selbstgewählte Form. Sie müssen ohne Ausnahme ihre Meinung künstlerisch verarbeiten und verbreiten dürfen. Ganz gleich, ob der Standpunkt dem in den Medien präsentierten Mainstream gefällt oder nicht. Gerade diese Gegenkultur gilt es zu zeigen. Leider ist es jedoch Fakt, dass Gegenmeinungen keine Plattform bekommen. Diese Künstler werden nicht gezeigt und nicht gehört − und erst recht nicht gefördert.

Das Magazin Melodie & Rhythmus für Gegenkultur zeigt in seiner Themen- und Künstlervielfalt ein kontrastierendes Bild zu den Meinungen im politischen Medienalltag, schützt und unterstützt die Künstlerinnen und Künstler jeglicher Hintergründe und fördert damit ein gesellschaftlich umfassendes differenziertes Meinungsbild. Dank Melodie & Rhythmus hören wir die wichtigen Stimmen, die unterdrückt werden. Dieser maßgebliche Beitrag zur Gegenkultur darf nicht verloren gehen!

Activestills
Fotografenkollektiv
activestills

Activestills wurde 2005 gegründet und besteht aktuell aus zwölf palästinensischen, israelischen und internationalen Dokumentarfotografen, die in Palästina/Israel arbeiten. Das Kollektiv glaubt an die Macht der Bilder. Sie können politischen Haltungen eine Form geben und ein Bewusstsein für Themen schaffen, die generell nicht im öffentlichen Diskurs vorkommen oder von den Medien verfälscht dargestellt werden. Der Hauptgrund, das Kollektiv ins Leben zu rufen, war, der Berichterstattung in der israelischen Presselandschaft über die Situation in Palästina etwas entgegenzusetzen und die Öffentlichkeit mit für alle frei zugänglichen Fotoausstellungen in den Straßen und über unabhängige Medienplattformen direkt zu erreichen. Auf der internationalen Ebene übernehmen die Mainstream-Medien oft die Sichtweise Israels und versäumen es, das siedlerkoloniale Projekt als die wesentliche Ursache für Gewalt und Menschenrechtsverletzungen in der Region zu entlarven. Wir wollen an diesen Zuständen rütteln, indem wir Arbeit leisten, die die Anstrengungen der Unterdrückten unterstützt, ihre Sicht der Dinge in eine wahrnehmbare öffentliche Sphäre zu tragen. Aus dieser Perspektive betrachtet, bedeutet der Aufbau einer Gegenkultur für uns also, Bilder auf nichtkommerzielle Weise zu vermitteln und durch sie einen Diskurs zu eröffnen, der das vorherrschende Narrativ herausfordert und ein fester Bestandteil des Widerstands gegen Unterdrückung ist. Diese Gegenkultur soll die Öffentlichkeit mit Fragen konfrontieren, die für unsere Gesellschaften wichtig sind, aber von den Mainstream-Medien oder Politikern, die Unternehmer-Interessen bedienen, unterschlagen werden.

Im Hinblick auf die zunehmende Militarisierung und des aggressiver werdenden Rassismus in unserer sogenannten westlichen Gemeinschaft, die alle Bereiche der Gesellschaft durchdringen, ist Gegenkultur umso notwendiger, um die Unterdrückung zu bekämpfen und eine echte Alternative zu dem bestehenden System zu entwerfen.

Einige der Mitglieder unseres Kollektivs haben Verbindungen nach Deutschland und einige Zeit dort verbracht. Wir waren entsetzt über das Anwachsen reaktionärer Kräfte in Deutschland und deren Angriffe auf ohnehin gefährdete linke Gruppen, besonders die, die an den Palästina-Debatten beteiligt sind, in denen es nahezu unmöglich geworden ist, Israel zu kritisieren. Daher wissen wir es zu schätzen, dass ein unabhängiges Projekt wie Melodie & Rhythmus als Kampfansage an die herrschende Meinung existiert und Sichtweisen und Akteure präsentiert, die in anderen Medien selten Beachtung finden. Es ist eine Ehre für uns, dass unsere Arbeit in diesem Magazin vorgestellt wurde. Solche Publikationen sind wichtig, um die Öffentlichkeit mit neuen Ideen zu versorgen und unabhängige Stimmen zu Wort kommen zu lassen.

ReadHeadMusic
Tobias Thiele

Los Fastidios
Enrico, Sänger

Owen Hatherley
Publizist

Foto: privat

Foto: privat

Meine Vorstellung von Gegenkultur ist, dass Politik nicht nur Politik ist − es nicht nur um das geht, was in Großbritannien als »Brot und Butter-Angelegenheiten« der Parlamente, Gesetzesvorlagen, Entlohnungsgrundsätze usw. bezeichnet wird −, sondern viel weiter gefasst wird. Ich bin sehr vorsichtig damit, weil sie sehr leicht in einer selbstgefällig gewählten Enklave landen kann. Ich meine aber, das Wichtige an Gegenkulturen ist jetzt, alle die Dinge hervorzuheben, die bei der radikalen Linken zum »Nach-der-Revolution« oder bei der gemäßigten Linken zum »Nachdem-wir-eine-Wahl-gewonnen-haben« zählen. All die Fortschritte, etwa in Sachen LGBT-Rechte oder Antirassismus, echte im Gegensatz zum banalen staatlich geförderten Multikulturalismus, und die Explosion alternativer Möglichkeiten des kulturellen Ausdrucks in bloßer »hoher Kunst« und »Massenkultur«, um nur die nächstliegenden zu nennen, wurden von Gegenkulturen angeführt, die nicht warten wollten. Deshalb stehen wir sehr in ihrer Schuld.

Ich denke, Gegenkultur heute steht vor einem zweifachen Problem. Auf der einen Seite gibt es eine wieder auflebende Rechte, die die Fortschritte, die seit den 1960er-Jahren gemacht wurden, im Namen einer vermeintlichen Gemeinschaft des »wahren« Volks angreift, was zu einer zunehmend erschreckenden Politik führt, die in Österreich effektiv und in Ungarn, Polen, Italien und in den meisten anderen Ländern bis zu einem gewissen Grad an der Macht ist. Aber es gibt auch eine entsprechende Bewegung auf der Linken, die versucht, uns selbst als normal und wahrhaftig darzustellen und auf die »wirklichen Sorgen« der Leute über Migranten und fremde Kulturen einzugehen und so weiter. Weil das manchmal von einer durchaus vernünftigen Kritik kommt, aber eher einiger Poser-Elemente in der radikalen Linken und aus Feigenblattaktionen der meisten Liberalen resultiert, ist es nicht zuletzt durch die Annahme gefährlich, dass zum Beispiel alle Arbeiter a) rassistisch, b ) heterosexuell, c) ignorant sind usw. Denn das ist herablassend und öffnet gewaltige Räume nach rechts, bevor wir überhaupt mit dem Streit darüber beginnen können.

Aus britischer Perspektive ist es seit jeher erstaunlich, in welchem Maße Gegenkultur in Deutschland eine aktive Präsenz in den Straßen und teilweise auch auf institutioneller Ebene hat − etwas, von dem ich immer angenommen habe, dass es von der 68er-Bewegung, ihren Nachwirkungen und einer starken antifaschistischen Kultur und dem Infragestellen nationalistischer Narrative kommt. Dazu gehört eine starke linke Presse, etwas, das wir bei uns mit Printmedien, die von den Sprachrohren der Millionäre und Oligarchen dominiert werden, sehr vermissen. Wenn sie sich ein Bild davon machen wollen, wie die Presselandschaft ohne gegenkulturelle Organe aussehen würde, gehen sie an einen Zeitungskiosk, sagen wir in Großbritannien oder Polen, dann sehen sie eine gleich ausgerichtete Reihe von offen rassistischen Bildern und Geschichtsfälschungen, die als normal und akzeptabel präsentiert werden. Deutschland ist bisher eine der wenigen Ausnahmen.

Heinz Ratz
Liedermacher

The Baboon Show
Punk-Band

Foto: Promo

Foto: Promo

Gegenkultur ist von großer Bedeutung und ein Weg, seine Opposition gegen die neoliberalen Machtstrukturen von heute auszudrücken. Sie verbreitet Hoffnung und die Botschaft, ihr seid nicht allein, und es sind Alternativen möglich. Gegenkultur ist absolut notwendig. Schaut euch um! Es herrscht überall Ungerechtigkeit. Kapitalismus, Faschismus, Rassismus, Sexismus – ihr nennt es beim Namen. Wir bewegen uns rückwärts, nicht vorwärts. Wir leben in einer Gesellschaft der Angst. Die Menschen werden von den Mainstream-Medien und politischen Kampagnen betrogen. Das muss sich grundlegend ändern! Wie andere linke und unabhängige Projekte hinterfragt Melodie & Rhythmus die Herrschaftsverhältnisse einer Gesellschaft, in der ein extremer Kapitalismus der Normalzustand ist.

Dave Randall
Musiker und Autor

Klaus-Jürgen Bruder
Psychoanalytiker

Foto: privat

Foto: privat

Melodie & Rhythmus – das einzige Magazin für Gegenkultur weit und breit! Gegenkultur – allein der Begriff, insofern er bereits Programm ist, zeigt wie wichtig so etwas ist: Eine Kultur, ein kulturelles Milieu, in dem sich etwas anderes entwickeln, entfalten und stabilisieren kann als die herrschende Kultur des »Mainstream«, anderes Denken und Handeln, weil es nicht behindert wird, nicht von vornherein zertreten – in unserer Gesellschaft (gesellschaftlichen Verfasstheit) kann sich ein anderes Denken als das des Mainstream nur als »gegen« den Mainstream gerichtetes entfalten, denn dieser Mainstream ist »eindimensional«, einlinig, keine qualitative Varianten zulassend. Das war die aufrührerische Diagnose Marcuses, Adornos Diktum »es gibt kein Richtiges im Falschen« ausbuchstabierend. Dieses – »eindimensionale« – Denken übt einen unwiderstehlichen Sog aus, zur Banalisierung in glänzender Oberfläche, die wie ein Gift alles andere, was nicht seines ist, infiltriert, absterben lässt, verdrängt.

Gleichzeitig sieht man ihm das nicht einmal an: Die glänzende Oberfläche blendet jedes Denken, fasziniert, schlägt in Bann, wie eine Droge und dadurch erschlägt es alles andere, macht es tatsächlich zur »Abweichung«, zum Nicht-Angemessenen, keineswegs Beeindruckenden, Überzeugenden, sondern Abwegigen, wenn nicht Schäbigen.

Aber dieses »Andere«, das nur noch ein mattes Dasein fristet, ist bzw. war einmal das Lebendige, das Entscheidende, weshalb sich zu leben lohnt − und wenn es nicht mehr ist, breitet sich Lähmung, Abstumpfung, Stumpfheit, Verblödung aus. Denn dieses andere Denken war dasjenige, das zum lebendigen, produktiven erfüllenden gehört, Kreativität nährt, Weiterentwicklung erst möglich macht. Oder, um es weniger romantisch auszudrücken: Die herrschende Mainstream-Kultur ist eine Unkultur, bloßer Ausdruck, Produkt der Unfähigkeit zu leben, Produkt der gegenwärtigen Organisation der Gesellschaft im Ganzen, politisch und ökonomisch: Reduziert auf zahlbares Bares, das »zählt«: die Reduktion aller gesellschaftlichen Funktionen und Institutionen, Handlungen und Entwürfe auf die schiere Reproduktion des Schmiermittels dieser Gesellschaft: die Vermehrung des Kapitals, des »Geld heckenden Geldes« bzw. die erweiterte Reproduktion des Kapitals.

»Kultur«, die diese Maschinerie der Reproduktion des Geld heckenden und alles zu Geld machenden Geldes zulässt, ist der Talmiglanz des Versprechens der Verwirklichung aller Wünsche, wenn du nur mit Willen und bei vollem Bewusstsein eintrittst − Kultur ist, was die Warnung, die Drohung blendet: »Wer hier eintritt, lasse alle Hoffnung fahren.«

Deshalb muss »Gegenkultur« diesen Status annehmen, gegen die herrschende Kultur sein, und zwar so fundamental dagegen, dass sie deren Wurzeln freilegt, ihre Nerven blank scheuert, dass die herrschende Kultur zu tanzen anfängt, nach der Melodie der »glücklichen Kühe«, und dabei aus dem Gleichgewicht gerät, Ihre Sicherheit verliert …

Dazu brauchen wir ein »Magazin für Gegenkultur«, konnten wir es gebrauchen, nämlich Melodie & Rhythmus. Ich z.B. habe sehr viel davon profitiert, als wir es noch hatten – für die Vorbereitung der Kongresse der Neuen Gesellschaft für Psychologie. Wir hatten mal, was wir nicht mehr haben: Jetzt müssen wir darum kämpfen, dass es wieder erscheinen kann.

Das Wichtigste, das wir jetzt tun können: die Melodie & Rhythmus abonnieren. Die Redaktion braucht um weitermachen zu können, bis Ende Juni 1.000 zusätzliche Abos. Wenn diese Zahl nicht erreicht wird, kann das Magazin für Gegenkultur nicht weitergeführt werden. Dann werden auch kritische Stimmen wie Moshe Zuckermann, Rolf Becker etc., die in den Heften vertreten waren, verstummen in Deutschland. Dann wäre eines der letzten Produktionsmittel im Bereich Medien, die noch der Linken in diesem Land gehören, für immer weg.
Sorgen wir dafür, helfen wir mit, dass Melodie & Rhythmus weitermachen kann!

Albino
Rapper

Nicolaus A. Huber
Komponist
Nicolaus A. Huber

Als Komponist sehe ich viele Begabungen, weltweit. Sie kennen weder die Avantgarde des 20. Jahrhunderts noch haben sie Marx gelesen. Sie sind dialektisch historischen Analysen eher feindlich gesinnt, machen lieber so eine Art publikumswirksames Avantgarde-Remmidemmi − können dabei mit viel Nichtwissen und Nichtkennen rechnen. Solche Öffentlichkeitspflege von vielen jungen Hochbegabten fördert ihre solipsistischen Egos. Um Musik als solche, die dem Menschen kommunikativ, aber eben auch schwierig gegenüber steht, kümmern sich nur ganz wenige. Der gesellschaftliche Begriff von Marx, der dem »rohen Gehör« und den »rohen Sinnen« überhaupt die gesellschaftlich auszubildende Abhängigkeit unserer Sinne entgegenanalysiert und als Optimum das Funktionieren der Sinne als »Theoretiker«, nämlich »um der Sache willen« und diese wiederum als »gegenständliches menschliches Verhalten« hinstellt − ja, das braucht Gegenkultur!!!!! Als ich vor nicht allzu langer Zeit M&R kennenlernte, war ich verblüfft und begeistert, dass es so etwas überhaupt noch gibt! Jede Stimme zur und für Gegenkultur ist in unserer rechtsdrehenden Welt unverzichtbar. Die vielen − sonst unterdrückten − neuen Informationen, Namen und Botschaften sind für mich neue Nahrungsmittel für das so kreislaufgeschwächte politische Denken, Analysieren und Produzieren, bis hin zum wunderbaren, revolutionären Malewitsch-Rot. Denn auch das farbige Layout der Ausgaben ist wohl kalkuliert und beschäftigt!
Diese Stimme, M&R, darf nicht sterben!!! Kauft ein Abonnement!!!!!

Tim Wells
Ranting Poet

Foto: Anne Ida Forest

Foto: Anne Ida Forest

Heutzutage sind die Medien überall, wie immer sie auch falsch laufen mögen. Es ist so wichtig wie nie zuvor, dass alternative Meinungen von verschiedenen Leuten zu Wort kommen, die nicht zum Mainstream gehören. Medien sind in wachsendem Maße Werbung, und Stimmen aus der Kultur, die auch wirklich über Kultur sprechen, werden übertönt. Ich war als Teenager in Fanzine-Projekten involviert und trete heute als Poet auf. Beide Formen haben eine Unmittelbarkeit, und wir brauchen auch Medien, die so eine Direktheit besitzen. Magazine wie M&R zeigen eine andere Sicht der Dinge. Sie präsentieren andere Künstler. Ich werde ständig daran erinnert, dass viele Schriftsteller, Künstler und Musiker nicht etwa im Abseits stehen, weil wir übersehen wurden – wir sind genau dort, wo das Establishment uns haben will.

Black Heino

black_heino

Moshé Machover
Publizist

Dota Kehr
Liedermacherin

Foto: Annika Weinthal

Foto: Annika Weinthal

Für mich bedeutet Gegenkultur ganz allgemein das, was sich dem konformen Gutheißen des Status Quo entgegenstellt. Aber da wird es auch schon kompliziert, weil es gerade in der Pop- und Rockmusik oft zur Pose von Bands gehört, inhaltlich gegen die kapitalistische Verwertungslogik anzusingen, während sie aber genau in dieser funktionieren und ihre Alben verkaufen und ihre Konzerte vollkriegen möchten. Diesen Widerspruch kann man nicht aufheben. Absurd wird es, wenn riesige Plattenfirmen sich mit »pseudorebellischen« Bands schmücken, aber hey, da muss jeder sich sein eigenes Bild machen.

Und genau dafür ist M&R ein sehr gutes Medium. Besonders wichtig finde ich Gegenkultur in der Medienlandschaft. Wo nur noch ganz wenige Medien ihre Inhalte voneinander abschreiben, ist überall derselbe Quatsch zu finden. Und in Berichten über Kultur ist das ärgerlich, in Berichten über politische Themen ist das sogar gefährlich. Ich wünsche der M&R weiteres Bestehen, weil ich sie als alternative Stimme vermissen würde.

Mono für alle!
Electropunk-Band

Foto: Sarq Reuter

Foto: Sarq Reuter

Seit unserer Gründung Ende der 1990ger-Jahre hat sich die Gesellschaft stark verändert und damit auch die Antwort auf die Frage, was Gegenkultur für uns bedeutet. Früher haben wir Songs gegen Nazis gemacht und schwarze Hoodies getragen; damit konnten wir in jedem Autonomen Zentrum spielen − das war Statement genug, und das Establishment stand unverkennbar auf der anderen Seite. So war Gegenkultur relativ einfach und billig. Spätestens zur Jahrtausendwende adaptierten dann Nazis linke Dresscodes, Pseudolinke begannen sich für Krieg und Kapitalismus zu begeistern, und gegen Nazis waren plötzlich alle: vom gewerkschaftlichen Bratwurststand bis zur CDU. Linksliberalismus wurde Pop, und die musikalischen Vertreter dieses Genres durften auf keinem großen Festival mehr fehlen, genauso wie Biolimonade und Ökostrom. Eine irgendwie kritische Attitüde und angebliche Anti-Haltung wurden zum selbstverständlichen Label vieler kommerzieller Musikprodukte, und am erfolgreichsten ist seit ein paar Jahren vermeintlicher Unterschichten-Rap, made by Warner, EMI, Sony usw. − womit prekäres Scheißleben als Lifestyle verklärt wird. Der Kulturindustrie ist es gelungen, sich den Protest, Kritik und die alternativen Ideen der Subkulturen anzueignen, systemgerecht zu formatieren und massenwirksam zu vermarkten. Dieser Prozess kann jedoch nur funktionieren, weil die Subkulturen da auch größtenteils bereitwillig mitwirken, anstatt dem etwas entgegenzusetzen. Es gibt mittlerweile unzählige angeblich systemkritische Musiker, die verbal gegen Nazis, Kapitalismus, Sexismus, Deutschland usw. zu Felde ziehen, aber voll im kapitalistischen Musikbusiness mitmischen und damit praktisch das System reproduzieren, obwohl sie es scheinbar kritisieren. Wenn die bürgerliche Gesellschaft heutzutage mit all ihren subkulturellen Fakes gegen Nazis rockt oder rappt, dann ist das dieselbe verlogene Doppelmoral, mit der sie vom Frieden redet und gleichzeitig Waffen in Krisengebiete verkauft oder von Nachhaltigkeit und Ökologie, während sie Kohleabbau, Flughäfen, Gentechnik usw. vorantreibt. Die Integration der Subversion erweckt den Eindruck gesellschaftlicher Reformation, die tatsächlich jedoch nie stattfindet, denn Kapitalismus, Kriege, Nazis, Umweltzerstörung usw. wachsen kontinuierlich und sind bedrohlicher denn je.

In einer solchen Situation ist es klar (zumindest für uns), dass echte Gegenkultur nur noch auf einer völlig anderen Ebene passieren kann, und in diesem Kontext ist auch unsere Musik zu sehen. Wir kritisieren das System, das Falsche und den Fake, aber auch die Linken, die da mitmachen und so tun, als seien sie Opposition. Gegenkultur bedeutet dabei für uns vor allem, dass Musik nicht losgelöst vom sonstigen Handeln einer Band gesehen werden kann, und wir versuchen Alternativen zu praktizieren, wie z.B. Spendenkonzerte, Musik-Sharing, selbstgenähte Shirts und DIY-Tonträger. Teile des linksliberalen Kulturbetriebs reagieren darauf besonders gereizt und versuchen, die eigenen Widersprüche lieber mit den Sachzwängen des Kapitalismus moralisch und ideologisch zu legitimieren, während sie alternative Praxis als »verkürzte Kritik« diffamieren. An dieser Stelle wird für uns die Notwendigkeit von M&R besonders deutlich, denn es gibt sonst keine Kulturzeitschrift, die das Phänomen der gefakten Subversion und pseudolinker Querfront − oder wie M&R es sehr treffend bezeichnet: »neoliberale Subkultur« − auch nur ansatzweise benannt oder beschrieben hätte. Hoffentlich schafft M&R die 1.700 Abonnenten und lässt uns nicht mit Spex und Testcard alleine ;-)

Peace!

COR
Friedemann, Sänger

Sozi36
Graffiti-Künstler

Foto: Sozi36

Foto: Sozi36

Genoël von Lilienstern
Komponist

Johann Kresnik
Theaterregisseur

Johann Kresnik

Foto: Herwig Prammer/Reuters

Gegenkultur bedeutet für mich kritische Kultur – jenseits der repräsentativen Hochkultur, die auch Politiker goutieren. Wenn die großen Häuser noch mehr Geld brauchen, dann kriegen die das auch. Aber für alles Innovative, Kritische außerhalb dieses Radius hat die Politik überhaupt keinen Sinn mehr. Den freien Gruppen mangelt es an allen Ecken und Enden, in mittleren und kleineren Theatern wird gestrichen. Das finde ich einfach unglaublich: Deutschland, eines der reichsten Ländern der Welt, hat für Kultur im Prinzip nicht viel übrig.

Es braucht Gegenkultur, um gegen das herrschende System anzugehen. Man muss sich ja nur den VW-Skandal vor Augen führen, um zu sehen, wie Wirtschaft, Industrie und Banken die Politiker beeinflussen. Die greifen nicht ein. Oder wenn in Deutschland die Armut zunimmt und Politiker, die mit unheimlich viel Gehalt nach Hause gehen, meinen: »Na ja, Hartz IV reicht doch für die!« – da kann man eigentlich nur den Kopf schütteln. Also brauchen wir Gegenkultur. Künstler, die sich hinstellen und sagen: »Moment, das geht nicht, was hier abläuft in der Politik.« Auch und vor allem im Theater. Es müsste sich gegen das breite Desinteresse am Zeitgeschehen stellen und auch wieder rein politisches Theater machen. Zum Beispiel nicht mit Flüchtlingen, sondern über die Ursache, warum es Flüchtlinge gibt. Aber keiner macht ein Stück darüber, wie die Engländer und Franzosen Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Lineal Linien durch ganze Scheichtümer gezogen haben.

Melodie & Rhythmus beschäftigt sich mit Künstlern, die sich gegen die herrschende Politik stellen und sich weigern, Kultur zu repräsentativen Zwecken zu verniedlichen. Die sagen: »Ich muss doch Deutschland kritisieren können.« Viele der heutigen Kulturredakteure haben keine Ahnung mehr von dem, was auf den Bühnen vor 20, 30 Jahren passierte. M&R könnte hier die bislang fehlende Plattform für eine fundierte, historisch informierte Theaterkritik bereitstellen. So ein Projekt gilt es zu unterstützen.

Konstantin Wecker
Liedermacher

Konstantin Wecker

Foto: Thomas Karsten

Die größte Infamie des Neoliberalismus besteht darin, uns einzureden, alle derzeitigen Ungerechtigkeiten, die Ausbeutung und all die ökonomischen Verbrechen seien alternativlos. Quasi gottgegeben. Und wer sich querstellt, wird im harmlosen Fall als »naiver Träumer« diffamiert oder als »Terrorist« gebrandmarkt. Die Mächtigen halten mit eisernen Zangen an ihrer Macht fest. Sie wissen nichts von der Schönheit. Von der Schönheit des Mitgefühls für alles was lebt, verbunden zu sein, eins zu sein mit den Menschen und Tieren, Wäldern und Wiesen und Seen und Flüssen. Deshalb müssen sie alles zerstören, was ihnen von ihrem Ego getrennt erscheint.

Gegenkultur heißt nicht, gegen Kultur, sondern gegen die Kultur der Herrschenden zu sein. Gegen eine Kultur der Ablenkung, der Verniedlichung und der Zerstörung. Gegen eine Kultur, die uns das Wissen austreiben will, dass wir aufbegehren und die Welt verändern können.

In der »Dialektik der Aufklärung« von Adorno und Horkheimer lesen wir: »Die ursprüngliche Affinität aber von Geschäft und Amusement [der Kulturindustrie] zeigt sich in dessen eigenem Sinn: der Apologie der Gesellschaft. Vergnügtsein heißt Einverstandensein.« Wahrlich, wir leben in gefährlichen Zeiten. Die Rechtsextremen und Rassisten kriechen aus ihren Löchern, in denen sie sich lange verbergen mussten und geben unflätig laut. Plötzlich wird wieder angehört, was nie mehr ausgesprochen werden sollte. Was nie mehr ausgesprochen werden darf.

Wer, wenn nicht die Kunst, soll nun die Außenseiter, die Sanften, die Verrückten, die seitlich Umgeknickten beschützen, wenn nicht die Kunst? In einer Welt, deren einziges Ziel es zu sein scheint, sich hemmungslos und über alle Grenzen der Menschlichkeit hinweg materiell zu bereichern, in einer extrem sinnlosen Welt − da ja materielle Bereicherung kaum Sinn gebend sein kann − ist Poesie ein Anker und ein Wegweiser. Um es ganz deutlich zu sagen: Die Poesie ist anarchisch! Sie lässt sich nicht zwängen in ein ideologisch starres Gebäude, selbst wenn sie sich ab und an sogar darin wiederfindet. Die Poesie singt, weil sie ein Lied hat, nicht weil es gefällt. Poesie ist Widerstand. Kunst ist Widerstand, weil diese Sprache die Herrschenden nicht verstehen. Davor haben sie Angst: vor den Dichtern, den Träumern und Fantasten. Weshalb werden wohl in jeder Diktatur als erstes die Bücher verbrannt? Die Liebenden verbannt?

Wir müssen nun zusammenhalten und zusammen widerstehen. Ohne ideologische Kleinkriege. Mit dem Herzen denkend. Denn es kommt etwas auf uns zu, was nie wieder hätte aus dem Dunkel kriechen dürfen. Der Philosoph Franco Berardi schreibt: »Wir werden in den nächsten zehn Jahren eine identitäre Aggression erleben − ich verwende das Wort Faschismus nicht, aber ich denke, es ist etwas sehr Ähnliches.«

Um dem entgegenzuwirken, braucht es Melodie & Rhythmus! Dieses Gegenkultur-Magazin ist unverzichtbar in diesen Zeiten, in denen ganz bewusst die Stimmen unterdrückt werden, die im Sinne Brechts eine veränderbare Welt beschreiben und besingen wollen.

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Die Verlag 8. Mai GmbH sucht eine Kulturredakteurin (m/w/d) für die Melodie & Rhythmus

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Wenn die Kraft fehlt
Weshalb der Verlag 8. Mai das Kulturmagazin Melodie & Rhythmus einstellt

Leider müssen wir heute eine schmerzliche Niederlage eingestehen: Das Magazin für Gegenkultur Melodie & Rhythmus (M&R) kann nicht weiter erscheinen. Das hat verschiedene Gründe, sie sind aber vor allem in unserer Schwäche und in der der Linken insgesamt zu sehen. weiterlesen

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»Man hat sich im ›Grand Hotel Abgrund‹ eingerichtet«
Zum Niedergang des linken Kulturjournalismus – und was jetzt zu tun ist. Ein Gespräch mit Susann Witt-Stahl

Ausgerechnet vor einem heißen Herbst mit Antikriegs- und Sozialprotesten wird M&R auf Eis gelegt – ist das nicht ein besonders schlechter Zeitpunkt?
Ja, natürlich. … weiterlesen

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