Museumsstück oder zeitgemäße politische Waffe der Lohnabhängigen?
Arbeiterlieder sind geronnene Geschichte: Der Kampf um die Pariser Kommune, die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg – bedeutende Ereignisse aus der Historie der Klassenkämpfe wurden auch in Liedern festgehalten. Sie dienen aber nicht nur der Erinnerung: Das Arbeiterlied war stets mehr als das »Volkslied des Proletariats« (Hanns Eisler). Es fasste als Kampflied die Forderungen der Bewegung in einprägsame Formeln und überlieferte Erfahrungen gewerkschaftlicher Organisation. Aber kann der Fundus an Liedern, von denen manche 150 Jahre alt sind, auch heute noch als ein wirksames Mittel politischer Agitation dienen? Ist die traditionelle Musik der Arbeiterbewegung in der Ära des Neoliberalismus, von Techno und Hip-Hop, iPod und Instagram ein probates Mittel, um prekär Beschäftigte und Arbeitslose zu erreichen und zu mobilisieren – oder braucht sie etwas Neues? Wir lassen folgende These diskutieren:
Das Arbeiterlied hat bis heute politische Wirkmacht
PRO
Die Melodie von der Solidarität …
Kann man auf sehr verschiedene Weise singen und spielen – beispielsweise im Stil US-amerikanischer Folksongs mit Fingerpicking auf der Gitarre, wie Hannes Wader es in seiner »Hafenmelodie« über die Arbeitskämpfe 1978/79 getan hat. Sie kann rockig klingen wie bei Ton Steine Scherben (»Allein machen sie dich ein«, »Einheitsfrontlied«) oder als Rap daherkommen wie bei Esther Bejarano und der Microphone Mafia, oder aber auch mit großem Chor und Orchester, wie bei Ernst Busch in der Aurora-Aufnahme des »Solidaritätsliedes« aus dem Jahr 1965 – die Aufnahmen aus dem Film »Kuhle Wampe« oder die von 1946/47 klangen noch anders. …
Achim Bigus ist Interpret politischer Lieder. Im Zuge seiner Politisierung hat das DKP-Mitglied auf dem Umweg über Protestsongs und Politrock-Bands auch die alten Arbeiterlieder wiederentdeckt.
Foto: privat
CONTRA
Geistige Krise, geistige Armut
Das Arbeiterlied ist tot. Wer nach dessen Agonie sucht, stößt in Deutschland auf das Jahr 1933 und auf das Lied von den »Moorsoldaten«, in dem es gegen Ende immerhin noch heißt: »Einmal werden froh wir sagen: / Heimat, du bist wieder mein.« Spätere Hoffnungen auf eine bessere Welt, fester Bestandteil der von Massen gesungenen Arbeiterlieder, waren wohlfeil oder, wie in der DDR, verordnet. Die Singebewegung samt Oktoberclub ist zum Glück Geschichte, ebenso das Festival des politischen Liedes. Im einstigen Westdeutschland gab es zuständigkeitshalber den Pläne-Verlag, der viel dafür getan hat, dass das Arbeiterlied als Kampflied im Bewusstsein blieb. Seine Geschäfte stellte Pläne jedoch 2011 ein. Heute hat die Arbeit der Wirtschaftsliberalen solcherart Früchte gezeitigt, dass kaum jemand noch »Arbeiter« genannt sein will, obwohl die, die arbeiten, bis zum Umfallen tätig sind – allerdings zu leistungssteigernder Muzak. …
Burkhard Baltzer ist studierter Musiker und Germanist. Er ist verantwortlicher Redakteur der kulturpolitischen ver.di-Zeitschrift KUNST+KULTUR.
Foto: Ludwig Rauch
Die komplette Diskussion lesen Sie in der Melodie und Rhythmus 3/2016, erhältlich ab dem 29. April 2016 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
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