Das Nimmerland von Pyro One ist kritisch-politisch
Text: Christoph Schrag, Foto: Benzki
Fan von Peter Pan ist er eigentlich nicht. Aber das Bild von dem Jungen, der nicht erwachsen wird und vom sagenumwobenen Nimmerland, in das wir doch eigentlich alle gern heimkehren würden, das ist hängengeblieben: »Erinnerst Du Dich, Nimmerland, alles war möglich/ naiv und fröhlich, jeder von uns zugehörig zur/größtmöglichen Gang an schrägen Vögeln.«
»Ausgezogen aus Nimmerland « heißt Pyros neue Platte. Er baut darauf der Kindheit ein Denkmal, aber auch dem Kindsein. Dabei geht’s aber nicht um Nostalgie und Fallenlassen, wozu die hymnischen elektrogesättigten Beats seines Kollegen LeijiOne vielleicht erst einladen. Nein, bei Pyro One dürfen Peter Pan und das Nimmerland die revolutionären Züge annehmen, die sie im Grunde ja schon in sich tragen, und die in jeder Kindheit und eben auch im Kindsein stecken: Hinterfragen, Neues wagen und aus purer Neugier und Ignoranz die bestehenden Verhältnisse auf den Kopf stellen. Das Nimmerland als Utopie zur Gegenwart – »Die letzten Radikalen, die letzten Freischwimmer/ die letzten Anarchisten sind nicht wir sondern Kinder.« Pyro mag diese unschuldigen Metaphern für das Anecken und Aufbegehren. Seine letzte Platte hieß Irrlicht, davor war er Harlekin – alles scheinbar harmlose Gesellen, die es aber in sich haben, und die einem vor allem einen anderen Blick auf die Welt geben.
Klar, dass gesellschaftliche Themen wichtig sind für einen, der Lebenserfahrung in Sozialberufen mitbringt und aus Berlin kommt. Pyro One beschäftigt die Marginalisierung von Schwachen in der Stadt oder die zunehmende Ellenbogenkultur, das merkt man in sehr vielen seiner Texte. Ob er die Perspektive von alten Menschen einnimmt, die den Wandel ihres Kiezes vom Fensterbrett aus verfolgen und bald selbst nicht mehr dazugehören können, oder aus den Augen von Jugendlichen, die ihre Zukunft schon verbaut sehen: »Zwischen Euren Hochhäusern wissen wir was echt ist/ihr wollt diese Stadt? Challenge accepted!«
Pyro One gehört einer noch kleinen neuen Bewegung im Rap an, die das Politische wieder explizit etablieren will. Ihren Stil nennen sie Zeckenrap und sich selbst »Tick Tick Boom« und drehen damit Begriffe um, die als Diffamierung gedacht waren. Eine selbstbewusste Truppe, die gemeinsam Sampler rausgibt, sich gegenseitig featured und vor allem auch zusammen in den Zeckenrap-Galas auftritt, wodurch sie Läden wie das Berliner SO36 oder Hamburgs Übel & Gefährlich vollmachen können.
»Sperrig, missverständlich, um die Ecke und nicht gefällig/ punkig, dreckig, klebrig, geht in keine Schublade zu stecken/ für die Hörer anstrengend […] früher mal politisch, doch jetzt immer kryptisch« – im Nimmerland von Peter Pan kommen dieser Truppe wohl die »Lost Boys« am nächsten, seine Bande. Die werden am Ende der Geschichte aber von netten Eltern in der Echtwelt adoptiert. Das würde Pyro One wohl eher nicht passieren: »Ihr macht die Regeln, wir lachen drüber/ihr die Konsequenzen, wir Papierflieger.«
Pyro One Ausgezogen aus Nimmerland
Springstoff
www.facebook.com/pyroone
Der Artikel erscheint in der Melodie&Rhythmus 1/2014, erhältlich ab dem 3. Januar 2014 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
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