Unterhaltungselektronik-Konzerne kämpfen verbissen um Online-Musikdienst-Marktanteile
Nach über einem Jahrzehnt der Krise stürzt sich die Musikindustrie auf neue Bezahl-Modelle für die nicht-physikalische Verbreitung von Musik: Streaming. Auch die Kunden finden immer mehr Gefallen an dieser Form des Musikkonsums. Vergangenes Jahr stiegen laut der International Federation of the Phonographic Industry die Einnahmen durch zahlende Stream-Abonnenten weltweit um 39 Prozent auf 1,6 Milliarden Dollar. Zugleich sanken die Downloads um acht Prozent auf 3,6 Milliarden. Verändert sich gerade die Art und Weise des Musikgenusses? Werden künftig mehr Menschen ihre Lieblingsmusik nicht mehr besitzen, sondern von Konzern-Servern durch ihre Kopfhörer rauschen lassen? Was früher die selbst aufgenommenen Mix-Kassetten waren, sind heute Playlisten, die man miteinander teilt.
In den vergangenen Monaten stürmten gleich eine ganze Reihe von Online-Musikdiensten auf den Markt: Apple mit gewohnt großem Tamtam mit Apple Music, Google, von den Medien eher unbeachtet, mit Google Play. US-Rapper Jay-Z kaufte für 50 Millionen Euro den schwedischen Anbieter Wimp und taufte ihn um in Tidal. Der größte Marktplatz für elektronische Musik, Beatport, begann die Inhalte seiner Nutzer zu streamen. Und Microsoft verkündete den Start des Musikdienstes Groove. Der Konkurrenzkampf unter den Anbietern ist so hart, dass die Medien ihn »StreamWars« tauften.
Apples größter Konkurrent ist der etablierte Streaming-Dienst Spotify. Der Edel-Hard- und Software-Konzern kämpft verbissen, um die Vorherrschaft zu erringen. Von den 800 Millionen iTunes-Kunden wolle man im ersten Jahr 100 Millionen als zahlende Abonnenten an Apple Music binden, verkündete Apple- Chef Tim Cook im Vorfeld. Ein sportliches Ziel. Spotify hat 75 Millionen Nutzer. Davon zahlen nur rund 20 Millionen monatlich knapp 10 Dollar für den Premium-Account. Der große Rest nimmt Werbeunterbrechungen in Kauf, um kostenfrei Musik hören zu können. Apple bietet seit Ende September nur kostenpflichtige Abos an, ebenfalls für knapp 10 Dollar. Ob das selbst gesteckte Ziel erreicht wird, ist mehr als fraglich. Wie viele Menschen weltweit wollen und können überhaupt Musik in Streams hören? Das Datenvolumen ist groß, 40 bis 50 MB pro Stunde verbrauchen die MP3s. Außerdem sind die Kunden von Apple Music enttäuscht. Der Dienst bietet nichts Neues, ist unübersichtlich und hat bei einigen Nutzern sogar die Ordnung der iTunes-Musiksammlung auf der Festplatte zerstört. Außerdem liegt die Klangqualität der MP3s mit 256 kbit/s sogar noch unter der von Spotify mit seinen 320 kbit/s-MP3s.
Für die Künstler bietet die neue Art des Musikhörens keine Vorteile. Sie verdienen kaum daran, bekommen weniger als einen Cent pro Stream. Apple Music behält 30 Prozent der Einnahmen, 70 Prozent gehen an das Label. Wie viel genau die Künstler bekommen, hängt vom jeweiligen Plattenvertrag ab. Portishead haben an 34 Millionen Streams auf mehreren Diensten innerhalb eines Jahres nur 2.300 Euro verdient. Tidal startete als Gegenbewegung dazu – mit Künstlern wie Madonna, Alicia Keys und Daft Punk als Teilhabern.
Auch die Hörer könnten bald Nachteile erleiden. Im Zuge des Starts von Apple Music bedrängen die Majorlabels Spotify, sein kostenloses Angebot zu streichen. Die Dienste versuchen zunehmend, die Nutzer mit exklusiven Album-Veröffentlichungen zu einem Abo zu bewegen. Der Produzent und Rapper Dr. Dre veröffentlichte sein letztes Album exklusiv auf Apple Music, wo er Anteile besitzt. Rapper Jay-Z startete Tidal sogar mit dem »Versprechen« auf exklusive Veröffentlichungen. Dies zog einen Shitstorm der Fans nach sich, der sogar den Rückzug einiger Teilhaber-Stars zur Folge hatte. Können bald nur noch die Besserverdienenden legal jede Art von Musik hören?
Martina Dünkelmann
Der Beitrag erscheint in der Melodie und Rhythmus 6/2015, erhältlich ab dem 30. Oktober 2015 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.