Melodie & Rhythmus

Die Nacht von Santa Clara

15.12.2014 16:50

Wenzel und Band
Kuba-Reisende (von links): Hannes Scheffler, Wenzel, Stefan Dohanetz, Thommy Krawallo, Foto: Promo

Wenzel und Band begeistern mit ihrer Kuba-CD »Viva la poesia« in der Berliner Kulturbrauerei
Von Gerd Schumann

Ein adventlicher Freitagabend. Draußen vor dem Maschinenhaus der Kulturbrauerei drängeln sich die Glühweinkonsumenten um gasfressende Heizpilze, die Berliner Luft flirrt in surrealer Vorweihnachts-Wärme. Drinnen führt die Reise über die Weiten des Atlantischen Ozeans nach Kuba. Es sei schon »seit langem« sein Traum gewesen, mit Band dorthin zu fahren und sich »den musikalischen und auch sozialen Einflüssen« der Karibikinsel zu stellen, hatte zuvor Hans-Eckardt Wenzel, der Guide, in einem Interview erzählt (DeutschlandRadio, 3.12.). Im Februar 2014 war es so weit.

Nun präsentiert der Dichter und Sänger die karibischen Erlebnisse in großer Besetzung – zwei Bläser, zwei Sängerinnen, ein klassisches Beat-Trio aus Gitarre, Bass, Schlagzeug sowie er selbst an diversen Instrumenten, Akkordeon natürlich. »Viva la poesia« heißt die CD. Sie führt in eine andere, ferne Welt, mit der immer noch – ein halbes Jahrhundert nach Che Guevara – Hoffnung und Utopie verbunden sind. Dort habe er zunächst die eigenen musikalischen und poetischen Traditionen zu behaupten gehabt gegen den Sog der Versuchung, sie in den Energien kubanischer Musik zu verlieren.

»Die Wäsche flattert ganz weiß auf der Leine/ Die Kirchturmuhr steht und die Zeit hat viel Zeit.« Zeit zu vergessen, »dass man ein melancholischer, trübsinniger Deutscher ist – was aber auch dazu gehört«. Man wird es nicht los und will es auch nicht, denn schließlich sei die Idee gewesen, »unseren eigenen Stil ein bisschen durcheinanderwirbeln zu lassen«.Tatsächlich hat die errungene Leichtigkeit, mit der sich Drums (Stefan Dohanetz) und Bass (Thommy Krawallo), die wundersamen Gitarren (Hannes Scheffler) hineinfühlen in den Sound von Havanna, mit Abheben vom Boden zu tun.

Das »Vaterland« liegt zum Glück weit weg – schon faszinierend die »riesigen Unterschiede« zwischen den Kulturen. Ein Bongo- oder Conga-Spieler in Europa schlage die Eins immer nach unten, Richtung Erde, während ein kubanischer Musiker die Eins zu sich hin schlage, leicht und tanzend, sagt Wenzel und begibt sich hinein ins Gefühl der relativen Schwerelosigkeit, erst recht nach dem Konzert in Santa Clara unter dem Malinchebaum: »Der Himmel war nicht zu messen,/ Der Mond hatte sich verirrt/ Und wir konnten singend vergessen,/ Was mit uns geschehen wird.« Eine kleine Traurigkeit schimmert durch die Melodie, durch die Zeilen, gebrochene Halbtöne in Moll und in Worten.

So nutzte der Reisende andernwelts seinen besonderen, bildererzeugenden und zugleich präzisen Umgang mit Sprache, schreibend frühmorgens über den Dächern von La Habana Vieja, der Altstadt. Dort hatten sie sich eine Wohnung gemietet und jeden Tag an einem Song gebastelt, ihn aufgenommen in einem kleinen Studio, unterstützt von kubanischen Musikern. Die sollten auch in Berlin dabei sein, doch erhielten sie von den deutschen Hütern der Reisefreiheit keine Visa.

Weiterhin boykottiert und unter Embargo-Unrecht, die »rote Perle der Karibik«, sozialistisch-reich an Bildung und Medizin, sozialistisch-arm an vielen Gütern, an Internet und Gitarrensaiten, wartend auf das, was werde, bange Blicke aufs Meer: »Wer wird wohl kommen?/ Und was bringt er her?/ Kommt ein Schiff mit Melonen? Kommt ein Makler mit Geld?/ Kommen Möwen oder Drohnen?«

Kuba speist, so scheint es, Wenzels Melancholie sehr speziell. Nein, Melancholie nicht im Sinne von unheilvollem Sich-Ergeben à la Lars von Trier, sondern als Sehnsucht nach Schönheit und besseren Zeiten. Die sind im »Land der Häuslein und der Konten« hinterm Horizont nur schwer zu haben in der Gegenwart aus Entfremdung, Vereinzelung, des Abstumpfens und der Kriege. Heutzutage wird alles gezählt, klagt der Sänger an, Statistiken müssen für den größten Unsinn herhalten, beweisbar gemacht wird das Unmögliche, »tapfre Zahlen können alles zählen« – doch die Toten in Syrien, die zählen sie »nicht mehr«.

Bei »Tapfere Zahlen«, die Wenzels Wut auf die Durchnormung des Lebens nahebringen, auf NSA und BND, geraten Text und die treibende Kraft der Musik zunächst aneinander. Passt das zusammen – Bitternis und Frohsinn? Es passt dann, wenn die Trauer ob der Ungeheuerlichkeiten zu Zorn wird, wenn aus Unrecht Empörung wächst, denn die trägt den Keim von Widerstand in sich. Das Elend von Flucht und Armut (»Stacheldraht Elektrozaun« von 2013) als flotte, immer flottere Polka, musikalische Drastik gepaart mit Beobachtungen, die den Kloß im Hals wachsen lassen.

Beängstigend, die alltäglichen Absurditäten des »Deutschland sucht die Superkrähe«. Der Irrsinn staut sich an, »die Dichter werkeln Werke«, »ein paar Priester streicheln Knaben«, und »man lacht, nur um zu zeigen/ Dass man auch noch lachen kann.« Wenzel singt seinen Ratschlag, der geistigen Verelendung zu entgehen: »Halte Dich von den Siegern fern, halte Dich tapfer am Rand«, warnt vor dem Zentrum der Macht, weil es korrumpiert und dumm macht. Den Text hat er aus deutschen Landen mitgenommen über den großen Teich, seine skeptische Sicht auf den Lauf der Dinge.

»Ahoi, ahoi, wir sind so frei/ Sie kriegen uns doch alle/ (…)/ Wir sitzen in der Falle« (»König von Honolulu«, 2009). Pessimismus einfach weggesungen – und alle singen trotzig mit und freuen sich. Wenn Wenzel die bedrückende neue Russenphobie geißelt und in der Taiga herum-kalinkat, rumpelnd erinnernd an seine böhmischen Vorfahren, wirkt das befreiend wie seine stimmigen Fernwehballaden. Mutmacher auch die deutsche Version des Woody-Guthrie-Klassikers »This Land Is My Land«. Die heißt auf internationalistisch: »Die Erde ist da für dich und mich.«

In Nicaragua waren Wenzel und Band auch, Granada, festival internacional de poesia, wo sie sich »in die Prozession der Poeten eingereiht, in den warmen Nächten aufgespielt« haben. In Berlin singt Wenzel inzwischen seine dritte Zugabe. Zwei Lieder von seiner ersten Amiga-Scheibe, »Stirb mit mir ein Stück«, preisgekrönt 1986, geschrieben schon 1978 um die Ecke in der »Dimitrow«, wie die Danziger Straße in der DDR hieß. »An mich, nachts« und »Herbstlied« (»Feinslieb«): »Lass in dem Kommen, Bleiben, Gehen/ Zertanzen uns die Schuh!/ Ich will noch so viel Himmel sehn/ Und du, du lachst dazu.«

Zwei mal 90 Minuten Wenzel und Band an diesem adventlichen Freitagabend: Sie klingen nach bis draußen, wo sich die letzten Zecher um die zwei noch geöffneten Glühweinbuden scharen, und klingen lange weiter. Wärmepilze werden nicht gebraucht.

Wenzel Viva la poesia
Matrosenblau
VÖ: 5.12.2014

Weitere Termine:
19.12.2014 Leipzig
18.01.2014 Eilenburg
27.02.2014 Freiberg/ Sachsen

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