Mensching/Wenzel und Gundermann entwerfen treffende Bilder von der Nachwendewelt
Der Dichter Volker Braun, der die Mängel und Irrwege der späten DDR dialektisch analysierte und kritisch begleitete, hat im August 1990 – illusionslos – den Bruch beschrieben, der mit dem Anschluss der DDR an die BRD vollzogen wurde. »Da bin ich noch: mein Land geht in den Westen. / KRIEG DEN HÜTTEN, FRIEDE DEN PALÄSTEN. / Ich selber habe ihm den Tritt versetzt. / Es wirft sich weg und seine magre Zierde. / Dem Winter folgt der Sommer der Begierde. / Und ich kann bleiben, wo der Pfeffer wächst.« (Braun, »Das Eigentum«)
Auch in der Musikszene gab es einzelne Stimmen von ungewöhnlicher Klarheit. Dazu gehörten Steffen Mensching und Hans-Eckardt Wenzel. »Abschied der Matrosen vom Kommunismus« lautete der Titel eines Programms, worin die Musikclowns mit bitterem Sarkasmus verkündeten: »Ach, was rot ist wird weiß / und zu Wasser der Schnee / und fließt fort in die eisige See.« Mensching und Wenzel entwerfen hier ein Bild der Nachwendewelt, und sie tun dies ohne einen eurozentristischen Blick.
Dabei weisen sie auf die Folgen des sich vollziehenden Epochenumbruchs hin: »Die Welt ist kaputt, und es ist zu spät. / Hast auch nichts mehr vorzuschlagen. / Der eine frisst Dreck, der andre Diät. / Komm! – redliches Unbehagen!« Und im »Kanonen-Shanty« nehmen die beiden Clowns, lange vor der erneuten Beteiligung deutscher Soldaten am Krieg gegen Jugoslawien, den deutschen Militarismus aufs Korn, wenn sie den Käpt’n an »die ewigen Landratten« denken lassen, die immer »nichts als Angst hatten«: »In ihren Heimatländern / Woll’n sie die Gesetze nicht ändern, / Denn die anderen dürfen längst schießen, /Nur wir nicht, wir büßen und büßen!«
Geradezu visionär ist das Lied »Sie werden kommen« Es nimmt Anfang der 90er-Jahre das Flüchtlingselend und die »Festung Europa« gleichsam vorweg: »Europas Armee an der Küste hält stand, / Verteidigt die Reiche der Reichen / Bis zu den Augen im Dünensand, / Hinter den Bergen aus Leichen.« Hans-Eckardt Wenzel hat das Lied seit einiger Zeit wieder in sein Konzertprogramm aufgenommen.
Gerhard Gundermann (1955 -1998) bleibt musikalisch und als Texter eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Musiklandschaft. Auf seinen Nachwende-Platten zeichnet er poetisch und nicht ohne Humor die sozialen Folgen des Anschlusses der DDR an die BRD. »Aber eines Tages isses dann geschehn / Eine böse alte Fee erhörte unser Flehen / Genau fünf Minuten vor halb zehn / Blieb die alte Werksuhr stehn / Und an einem fremden weißen Strand / Träumen wir von unser’m alten Eisenland.«
Der Liedermacher und Baggerführer erkennt den Zeitenwandel nicht nur als Umbruch, sondern als das Aufkommen eines neuen alten Klassenkonflikts. In seinem Song »Krieg« umschreibt er die Ost-West-Konfrontation als langen Krieg: »Aber aus Bruder aus war der Krieg / Wer hatte uns den in die Wiege gelegt / Und offen und frei liegt das Meer / Du gabst mir die Hand / Und ich gab dir mein Gewehr.«
Die folgende Volte ist nüchtern, knapp und einfach und auch noch einfach wahr: »Nun isses soweit, wir haben zu zweit / Wieder klar Schiff gemacht / Ich hab jetzt endlich ‚ne richtige Arbeit / Und du jemand, der sie dir macht / Wenn das Schiff schlingert, machst du den Finger / Und ich mach den Rücken krumm / Du musst an die Kegel, ich muss in die Segel / Und da weiß ich wieder warum / Darum Bruder darum wird Krieg / Den ham wir uns jetzt vor die Füße gelegt / Doch ich singe und bringe nicht um / Obwohl ich nun wüsste warum.«
Sicher war die kritische Auseinandersetzung mit den Folgen des Umbruchs in der ostdeutschen Musikszene nicht gerade eine Massenerscheinung. Allerdings entstanden manche kluge und weiter hörenswerte Songs. Die gilt aufzuheben, im eigentlichen Sinne des Wortes.
Michael Mäde, Dramaturg, leitet die jW-Ladengalerie in Berlin
Den kompletten Artikel lesen Sie in der Melodie und Rhythmus 5/2015, erhältlich ab dem 28. August 2015 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.