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Ein Kommentar von Fabian Schwinger zur aktuellen Jazz-Studie
Oh, das Café in der Nachbarschaft bietet seit Neuestem Live-Jazz zum Frühstücksbuffet – doch ich frage mich, ob den Gästen ihr Appetit nicht ganz schnell verginge, wenn sie wüssten, wie wenig die Musiker bei dieser Form der Unterhaltung verdienen. Wahrscheinlich wird, wie es die Regel ist, schulterzuckend weitergekaut. Dennoch liegen mit der »Jazzstudie 2016« des Kulturwissenschaftlers Thomas Renz die harten Fakten zum Verdienst in der deutschen Jazz-Landschaft erstmals unübersehbar auf dem Tisch: Gerade in Metropolen wie Köln und Berlin werden professionelle Musiker mit selten mehr als 50 Euro Gage pro Abend abgespeist; durchschnittlich kommt ein Jazzer in Deutschland mit seiner musikalischen Tätigkeit auf 12.500 Euro im Jahr. »Viel zu wenig!«, lautet zu Recht der allgemeine Tenor.
Es ist der empirisch angelegten Studie hoch anzurechnen, eine Szene nicht nur in ihren wirtschaftlichen Strukturen grundlegend auszuleuchten, deren künstlerischer Output mit Parametern wie »Improvisation, Offenheit, Kommunikation und Freiheit« (Renz) dem deutschen Charakter ja eigentlich diametral entgegensteht. Dennoch: Jazz boomt auch hierzulande – und es bleibt die Frage, ob die Studie neben der starken medialen Resonanz auch politische Konsequenzen zeitigen wird. Wenn, dann hoffentlich nicht in dem Sinne, Jazz allgemein zu einem Projekt von »gesamtstaatlicher Relevanz« abzustempeln – ein Begriff aus dem 2011 vom damaligen Kulturstaatsminister Bernd Neumann vorgestellten 58-Seiten-Dossier über die bundesdeutsche Musikförderung. Unter Neumann flossen 75.000 Euro in die Finanzierung des vom Bundesverband der Musikindustrie vergebenen »Echo Jazz«, obwohl selbst diejenigen, die bei der diesjährigen Vergabe am 26. Mai nominiert sind – Klaus Doldinger, Nils Wogram, das Michael Wollny Trio – wohl kaum zu den aus der Studie hervorgehenden Durchschnittsverdienern gehören.
Natürlich soll man versuchen, Bund, Länder und Kommunen an die Kandare zu nehmen: Von Konzepten der Spielstättenförderung ist die Rede, von Einstiegs- und Mindestgagen, der Verbesserung der Arbeitsbedingungen an den Musikschulen, der Sicherung der Künstlersozialkasse, selbst von Education-Programmen, wie man sie aus der Klassikwelt kennt. Dennoch muss auch auf Seiten der Jazzer die Emphase zur Veränderung spürbar werden. Man ist schwach organisiert, Gagendumping ist in dem vielfach umkämpften Arbeitsmarkt Alltag. Nur mit dem Commitment der Musiker selbst kann gewährleistet sein, dass eine Kunst wie der Jazz auch weiterhin von den um sie herum tobenden Verhältnissen verschont bleibt und »Der arme Jazzer« nicht zu einem verniedlichten Topos gerinnt, wie es Spitzwegs »Der arme Poet« bereits ist.
Der Beitrag erscheint in der Melodie und Rhythmus 3/2016, erhältlich ab dem 29. April 2016 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.