Der Arabische Frühling und Israel
Text: Christoph Schrag, Foto: Darren Whiteside (Reuters) & Amir Cohen (Reuters)
Wenn die das können, warum nicht auch wir?« Die Proteste auf dem Rothschild-Boulevard in Tel Aviv vom Sommer 2011 sind ein Remix des Arabischen Frühlings featuring Movimiento 15M aus Madrid. Zelte auf der Straße wie auf dem Tahrir-Platz in Kairo und Parolen gegen eine unsoziale Politik wie im krisengeschüttelten Spanien.
Wie hätte es in Israel auch ruhig bleiben sollen, wenn ringsum die Nachbarn auf die Straße gehen? In Ägypten, Syrien, Jordanien und Libanon, also hinter jeder Grenze Israels, tobt in jenem Jahr die Revolte der arabischen Welt. Eine Protestwelle solchen Ausmaßes ist völlig neu, und es ist damals nicht abzusehen, wohin sie führt. Klar ist für die Aufbegehrenden nur: Ein Hauch von »Change« liegt in der Luft.
In diesem Sommer fordern die Protestierenden Israels zwar nicht den Umsturz, aber doch ein massives Umdenken in der Sozialpolitik. Was von außen überraschen mag: Es geht eben nicht um den Palästina-Konflikt, sondern zunächst schlicht und ergreifend um bezahlbaren Wohnraum. Die Lyrics könnten so auch aus der Iberia kommen, den treibenden Beat aber liefert der arabische Frühling.
Der Soundtrack der Proteste entsteht erst bei Ad Hoc Sessions auf dem Boulevard von den Liedermachern der Stadt. Später, als von der Zeltstadt auf dem Rothschild aus Hunderttausende durch Tel Aviv ziehen, kommen auch Popgrößen wie Eyal Golan dazu, der israelische Sänger mit Wurzeln im Jemen und Marokko. Oder alte Hasen des Dissenz wie die Hip- Hop-Truppe HaDag Nahash, die am Ende eines Marschs auf dem Kikar HaMedina spielen, dem größten Platz der Stadt. Die Bewegung bringt aber auch ihre eigenen Songs hervor. Daphni Leef, die das erste Zelt auf dem Boulevard aufschlug und damit den arabischen Frühling in den israelischen Sommer verwandelte, ist von Musikern in gleich zwei Aufnahmen verewigt worden, die ihren Namen tragen. Und die junge Ella Doron, die sich den Zeltbewohnern anschließt, widmet ihren Track »My Country’s Burning” der Rothschild-Revolte. Im Text betet sie für Regen auf das brennende Land.
»I understand/It’s time for change/ But it won’t go away/If you look the other way«
»My Country’s Burning«, Ella Vs Mountain
Der Geist der Bewegung vom Rothschild Boulevard beflügelt auch die Band The Angelcy aus Tel Aviv. Sie sind dabei, als die Zelte auf der Straße immer mehr werden und auch Menschen außerhalb des Camps beginnen, gegen die Sozialpolitik Benjamin Netanjahus zu demonstrieren. »Die Leute hier in Tel Aviv haben angefangen miteinander zu reden. Politik war wieder ein Thema für alle,« sagt Percussionist Dov Rosen im Rückblick. Und Sänger Rotem erinnert sich «Es war etwas in der Luft in Tel Aviv.« Die Sehnsucht nach Veränderung ist in ihrer Musik spürbar. Ihre Debüt-EP kommt pünktlich zum Protest. Ihre Songs transportieren diesen Hauch der Möglichkeit und laufen eine Zeit lang sogar in der Rotation eines der wichtigsten alternativen Radiosender Israels.
»We are a natural disaster/Shake, Mama, shake your head«
»My Baby Boy«, The Angelcy
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