Erich Frieds Erfahrung als jüdischer Antifaschist und die Anklage eines großen Verrats
Klaus Fried
Mein Vater war ein Dichter, und zwar ein guter, wie man mir erzählt hat. Aber ich habe nicht die Autorität, das zu beurteilen, denn ich habe seine Werke nur in Übersetzung gelesen. Er floh 1938 aus Österreich, nachdem sein Vater von der Gestapo ermordet worden war, und ich wuchs zusammen mit meinen Geschwistern in Großbritannien auf, wo die Engländer selbst schon Mühe haben, ihre eigene Sprache zu lernen.
Ich wusste natürlich immer, dass ich Jude bin. Papa hatte Österreich verlassen müssen, weil diejenigen, die in diesem Land an der Macht waren, keine Juden mochten. Wenn das also falsch war, dann konnte mein Kinderhirn auch offensichtliche Parallelen in Israel begreifen. Das verstand sich für mich von selbst – jedenfalls damals. Ich kannte nur zwei Länder mit einem System, das eine Ethnie gegenüber einer anderen offen bevorzugte: Südafrika und Israel. Jeder war gegen Apartheid. Aber Israel war aus irgendeinem Grund ein heikles Thema. Ich habe nicht wirklich verstanden, warum es rassistisch sein durfte. Welch merkwürdiger ideologischer Spagat wurde hier betrieben?
»Ihr habt die überlebt/ die zu euch grausam waren/ Lebt ihre Grausamkeit/ in euch jetzt weiter?// Eure Sehnsucht war zu werden/ wie die Völker Europas/ die euch mordeten/ Nun seid ihr geworden wie sie«, heißt es in »Höre, Israel!«. Erich schrieb dieses Gedicht nach dem Sechstagekrieg 1967. Und, sagen wir einmal – das wurde zur Kenntnis genommen. In den Jahren danach gab es in unserem Haushalt eine Regel, die nicht infrage gestellt wurde: Wenn ein Paket geliefert wurde, durften wir Kinder es nicht anfassen. Das war ungewöhnlich. Denn im Allgemeinen gab es keine Regeln – und die wenigen, die es gab, waren dehnbar. Zum Beispiel wurde uns davon abgeraten, die Polizei, die unser Telefon abhörte, mit den besten Obszönitäten zu beschimpfen, die unser kindlicher Wortschatz zu bieten hatte – aber wirklich nur abgeraten, nicht verboten. …
Klaus Fried ist seit mehr als 30 Jahren für Film und Fernsehen tätig. Er produziert Dokumentar- und Spielfilme sowie experimentelle Filme. Derzeit arbeitet er als Koregisseur an der britisch-österreichisch-deutschen Produktion »Er + Ich Fried«, einem persönlichen Porträt seines Dichtervaters. Klaus lebt mit seinen zwei Söhnen in London.
Foto: Pau Ros Sintas
Der komplette Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 2/2021, erhältlich ab dem 19. März 2021 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.