Kubanischer Hip-Hop, Reggaetón, Jazz, Trova, Rock, Son – Unterwegs auf der Magistrale Línea. Beobachtungen zur Lage
Gerd Schumann
»Und eine kleine Katze / Blutjung und ganz allein / Jemand sagt / Lass, die geht bald ein«, schrieb Gerhard Gundermann 1990. Eine »kleine Katze« als Metapher für Kuba – der Sänger und Dichter aus der DDR wählte sie bewusst: Während sein eigenes Land gerade einging, nahm er sich die Melodie von Bruce Cockburns »Nicaragua«, beschrieb, was er in Havanna sah, und schuf »Cuba«, ein Lied der Hoffnung damals und bis heute: Die kleine Katze lebt.
Funky, funky
Ist noch früh, sechs Uhr abends, als wir die Casa de la Musica in Havannas Stadtteil Miramar betreten. Die herbe Kälte drinnen kontrastiert mit dem milden Sonnentag draußen. Telmary Diaz, die ungekrönte Königin des kubanischen Hip-Hop, lässt lange auf sich warten, derweil ihre Managerin aufgeregt dauertelefoniert, offenbar letztlich mit Erfolg. Telmary betritt die Bühne und bemüht sich, ihren Darminfekt, so gut es geht, vergessen zu machen.
Kichernd sagt sie: »Es ist nicht mein bester Tag«, derweil zwei coole, durchweg empathische »coloured girls«, wie Lou Reed sie genannt hätte, ihre gesangliche Klasse zeigen. Sie folgen den irre schnell vorgetragenen Wortkaskaden der Rapperin, wiederholen Refrains im Chor, widersprechen, treiben weiter, immer weiter. Bass, Schlagzeug, Trompete agieren funky, funky, und die abrupten Tempowechsel wirken zappaesk, orientiert in ihrer Schroffheit an der Timba, einer Art traditionellem Rumba-Jazz, jedenfalls gewachsen. Fast fertig ist der Hip-Hop à la Kuba. Fehlen nur noch die Inhalte.
Für Gangsta Rap gibt es keine soziale Grundlage, nicht für Mord und Totschlag und Ghetto. Bleiben also die Mühen des Alltags, manche üble Erscheinung, geschuldet meist dem Tourismus, von der Schönheitsoperation bis zur oberflächlichen Gedankenlosigkeit, zu Neid und Egoismus. Telmary kritisiert die neueste Mode, den aggressiven wie monotonen Reggaetón, nimmt sich Goldketten-Machismo und Paschatum vor. »Que equivoca‘o« (Wie du dich irrst) heißt der Song: »Du betrinkst dich gemütlich, während die Frau putzt – so läuft das nicht.« Danach Wohlfühlen bei »Marilu« – einem Ohrwurm. Ließe sich wie das relaxte »Libre« sicher auch international verkaufen. Piano-, Claves-, Bongo-Klangteppich, dezente Bläser, energische Harmonien. Marktkompatibel, durchaus, und der Markt wartet auf frische Ware.
Den kompletten Artikel lesen Sie in der Melodie und Rhythmus 4/2016, erhältlich ab dem 1. Juli 2016 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.