Banalisierung des Unsagbaren oder Aufklärung?
Adorno meinte im Jahr 1949, es sei »barbarisch«, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben. Die Debatte, ob oder wie der Schrecken der Konzentrationslager kulturell verarbeitet werden soll, ist bis heute nicht abgerissen. Über die US-Fernsehserie »Holocaust« (1978) etwa urteilte der Schriftsteller Elie Wiesel, sie sei eine aus kommerziellem Kalkül produzierte Seifenoper, eine »Beleidigung für die, die umkamen«. Als die Thrash-Metalband Slayer den Auschwitz-Lagerarzt Josef Mengele 1986 als »Angel of Death« besang, wurde ihr eine »Betrachtung des Holocausts als Comic-Drama« attestiert. Jüngst sorgte der neue Roman von Martin Amis für Diskussionen, weil er die Liebesgeschichte eines SS-Offiziers zu der Frau des Lagerkommandanten von Auschwitz erzählt – eine Liebe »vor dem Hintergrund des unromantischsten Ortes des 20. Jahrhunderts«, wie es im Klappentext heißt. Die einen kritisieren eine gefährliche Trivialisierung und einen Ausverkauf des Holocausts, die anderen sagen: Vermittelt durch die Popkultur erreichen notwendige Kenntnisse über das größte Menschheitsverbrechen Teile der Bevölkerung, die sonst keinen Zugang zu dessen Geschichte haben.
Wir lassen die These diskutieren:
Der Holocaust muss für die Popkultur tabu sein.
PRO
Das Grauen als Konsumware
Als Adorno sein berühmtes Diktum formulierte, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben sei barbarisch, hatte er philosophisch zweierlei im Sinn: Zum einen stellte sich für ihn die Frage, wie eine Kultur, die mit der Barbarei kooperiert (jedenfalls der Barbarei keinen Einhalt zu bieten vermocht) hatte, sich noch anmaßen könne, Rechenschaft über den »Rückfall in die Barbarei« ablegen zu dürfen. Zum anderen wandte er sich aber auch gegen die Tatsache, dass Kunst stets mit einem gewissen Lustgewinn verbunden ist. Die Rezeption des »Zivilisationsbruchs« Auschwitz, den selbst die beschlagensten Kulturkritiker nicht vorauszusehen vermocht hatten, durfte keine Plattform für einen solchen Lustgewinn abgeben. Nimmt man noch hinzu, dass die Populärkultur im Spätkapitalismus dezidiert die Warenform angenommen hatte, erhob sich für Adorno die Frage, wie mit dem historisch manifest gewordenen Grauen umzu- gehen sei, ohne es konsumierbar zu machen; d.h., wie ist die Rezeption von Auschwitz zu handhaben, ohne die Shoah zur Selbstverständlichkeit gerinnen zu lassen? …
Moshe Zuckermann ist Kunsttheoretiker und renommierter Vertreter der Kulturindustriethese der Kritischen Theorie. Seine Kritik findet sich u.a. in dem Essay »Faschismus, autoritärer Charakter und Kulturindustrie«.Foto: Susann Witt-Stahl
CONTRA
Keine Angst vor Pop
Adorno mahnte im Jahr 1949, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben sei »barbarisch«. Was würde er wohl heu- te angesichts massenpopulärer Kunstformen sagen, die sich Auschwitz einverleiben?
Adornos Diktum erwirkte ein Tabu, das von vielen als Rede und Darstellungsverbot aufgefasst wurde. Heute ist es überwunden: Die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Holocaust zeigt sich in vielen Formen und Formaten. Doch die Debatten um das vermeintlich »angemessene« Darstellen des Holocaust wollen nicht abreißen und haben ein wiederkehrendes »Feindbild« gefunden: die Popkultur. Diese macht auch vor dem dunkelsten aller Kapitel nicht halt und verkauft den Holocaust als Aufmerksamkeitsgaranten. »Darf« sie das?
Sie darf. Und sie sollte. Denn nichts würde der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und dem offenen Sprechen über den Holocaust mehr im Wege stehen als eine (erneute) Tabuisierung. »Raus aus dem Wortknast« – das Credo des Popliteraten Thomas Meinecke gilt nicht auch, sondern gerade hier. …
Kirstin Frieden forscht u.a. zur Erinnerungskultur in den neuen Medien und der Popkultur. Ihre Dissertation »Neuverhandlungen des Holocaust. Mediale Transformationen des Gedächtnispara digmas« ist 2014 bei transcript erschienen. Foto: privat
Die kompletten Debattenbeiträge lesen Sie in der Melodie und Rhythmus 5/2016, erhältlich ab dem 2. September 2016 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.