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Der Mitbegründer der Frankfurter Schule hielt bis zum Schluss an seiner radikalen Kritik am Spätkapitalismus fest
Moshe Zuckermann
Kurze Zeit nach Theodor W. Adornos Tod am 6. August 1969 gab Herbert Marcuse ein Interview zum Andenken an seinen Freund und Kollegen. Er hatte sich zu diesem Gespräch nicht zuletzt mit dem Ziel bereit erklärt, die falsche Deutung der zwischen Adorno und ihm zuletzt aufgetauchten Differenzen aus der Welt zu räumen. Er betonte die nie erschütterte Gemeinsamkeit und Solidarität, die es zwischen ihnen gegeben habe. Gefragt, worauf diese beruhten, sagte Marcuse: »Ich glaube, es gibt niemanden, der so wie Adorno der bestehenden Gesellschaft radikal gegenüberstand, der sie so radikal gekannt und erkannt hat.« Die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis in Adornos Verhalten erklärte er als einen »temporären Rückzug« auf das »reine Denken«, aber nur, um »allmählich und so wirkungsvoll wie möglich das Bewusstsein der notwendigen Veränderung wieder zu entwickeln und damit die notwendige Veränderung vorzubereiten«. Auf die Nachfrage, ob die Wirklichkeit keine Praxis mehr zulasse, antwortete Marcuse, dass in diesem Punkt in der Tat eine der Differenzen zwischen Adorno und ihm gelegen habe. Davon ausgehend, dass der Spätkapitalismus Formen der Repression entwickelt hat, welche die in der Marx’schen Theorie traditionelle Praxis der Veränderung unmöglich zu machen scheine, fügte er eine bemerkenswerte Erläuterung hinzu: Er denke hier »besonders an die Integrierung weiter Schichten der Bevölkerung, besonders an die Integrierung der Arbeiterklasse in das bestehende kapitalistische System in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern. Das heißt aber, dass das geschichtliche Subjekt, das gesellschaftliche Subjekt der Revolution, offenbar nicht mehr da war oder offenbar nicht mehr oder noch nicht aktiv war. An dieser Stelle war er [Adorno] orthodoxer Marxist. Ohne eine Massenbasis in den ausgebeuteten Klassen ist eine Revolution unvorstellbar. Und weil diese Massenbasis in der gegebenen Situation gerade in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern nicht sichtbar war, hat er sozusagen die Umsetzung der Theorie in die Praxis vertagt.«
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Der komplette Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 3/2019, erhältlich ab dem 14. Juni 2019 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
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