
Gina Pietsch, Arnold Schölzel, Gerd Schumann (v.l.n.r.)
Foto: Rüdiger Hecht
Reger Zuspruch zur Diskussionsrunde
Das Interesse an der Musik der DDR ist geblieben. Bei der Veranstaltung zum Titelthema von M&R 5/15 war die jW-Ladengalerie in der Berliner Torstraße nahezu bis auf den letzten Platz gefüllt. Nur auf dem Podium fehlte eine der Diskussionsteilnehmerinnen: Die Jazz-Sängerin Angelika Weiz musste ihre Teilnahme kurzfristig aus privaten Gründen absagen. Also trugen die Brecht-Interpretin Gina Pietsch, M&R-Autor Gerd Schumann und jW-Chefredakteur Arnold Schölzel unter reger Anteilnahme des Publikums zusammen, was 25 Jahre nach dem Untergang der DDR von ihrer Musik und ihren Musikern geblieben ist. Gina Pietsch stellte gleich zu Beginn klar, dass sich ändern kann, was bleibt, und zitierte eine Liedzeile Franz Josef Degenhardts: »Die Lieder werden bleiben, sie sind die Brüder der Revolution.« Doch heute spiele Revolution keine Rolle mehr, und die Haltung zu den Liedern ändere sich. Das, was bleibt, sind individuelle und kollektive Erinnerungen, das, »was gebraucht wird, was jeder einzelne braucht«.
Gerd Schumann erinnerte an die 6.000 Dorfklubs und Kulturhäuser der DDR und die »herausragenden Leistungen im Bereich Lyrik und Poetik«. Daraus folgerte die Runde eine weitere Erkenntnis: Qualität bleibt. Gina Pietsch schätzte im Rückblick die gute Ausbildung der Musiker und das Privileg, die Zeit gehabt zu haben, etwas auszuprobieren. Sie erzählte von einer symbolträchtigen Begegnung bei einer Auslandsreise in die BRD, bei der ein Musiker nach der Veranstaltung auf sie zukam und sie fragte: »Davon können Sie leben? Das können Sie doch gar nicht verkaufen!« Für Pietsch und ihre Kollegen spielten solche Zwänge keine Rolle. Sie konnten sich experimentelles Liedtheater leisten und eine Brigade Feuerstein. Lieder mit Inhalten – die auch heute noch Bestand haben, so Schumann. »Vielleicht trifft die Form nicht mehr zu, aber der Inhalt«, sagte er und verwies auf Ernst Busch, dessen Lieder »bis Spanien gehört werden. Das bleibt.«
Eine rege Diskussion entspann sich um die Puhdys, die gegenüber Schumann in einem Interview geäußert hatten, die Aufbau- Lieder wären Auftragsarbeiten gewesen. Ein Gast entgegnete, die Puhdys würden ihre Vergangenheit nicht leugnen: »Sie spielen das ›Chile-Lied‹ immer noch.« Ein anderer fügte an, dass viele Künstler Auftragsarbeiten erhielten und auch Kritisches lieferten. Pietsch merkte unter Murren einzelner an: »Aber sowas wie Biermann hätte man, muss man, aushalten können. Seine Ausweisung war unser schwerster Fehler.« Doch der Abend endete harmonisch mit einem gemeinsam gesungenen Lied: Brechts Kinderhymne – eines der Lieder, die geblieben sind.
Martina Dünkelmann
Der Beitrag erscheint in der Melodie und Rhythmus 6/2015, erhältlich ab dem 30. Oktober 2015 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
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