Gespräch mit Klaus Körner über die Raison d’Être des Antikommunismus in der BRD
Am 17. Juni ist die Amtszeit des letzten Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik zu Ende gegangen. Nach mehr als 30 Jahren wird der Gesamtbestand der »Stasi-Unterlagen« – 111 Kilometer Akten – diesen Sommer an das Bundesarchiv überführt. Ob damit auch ein Kapitel der langen Geschichte des Antikommunismus in Deutschland abgeschlossen wird, ist fraglich. Aufschluss können ein Rückblick auf seine tiefe Verankerung in der BRD und Analysen gefährlicher Kontinuitäten geben, die der Autor Klaus Körner in seinem Band »Die rote Gefahr. Antikommunistische Propaganda in der Bundesrepublik 1950–2000« von 2003 vorgenommen hat. Susann Witt-Stahl sprach mit dem Politikwissenschaftler über die historisch spezifischen Erscheinungsformen des Antikommunismus, die Bedeutung der Totalitarismustheorie als einer seiner wirksamsten Ideologien und seine Funktion seit dem Niedergang der Realsozialismus.
Die Beschwörung der »roten Gefahr« wurde in der deutschen Geschichte mit unterschiedlicher Intensität betrieben. Taugen allein die welthistorischen Kulminationspunkte vor allem im Kalten Krieg, beispielsweise der Mauerbau 1961, als Barometer des antikommunistischen Furors?
Der US-amerikanische Historiker Gordon A. Craig bemerkt in seiner »Deutschen Geschichte 1866–1945«, es habe nach dem Zweiten Weltkrieg wenig gegeben, woran die (West-)Deutschen hätten politisch anknüpfen können. Zu den Anknüpfungspunkten gehörte für das bürgerliche und das sozialdemokratische Lager ein dezidierter Antikommunismus. Zu den Ausformungen und Veränderungen trugen die politischen Großereignisse bei, etwa der Ungarn-Aufstand 1956. Die sowjetische Intervention wurde von der CDU als Wahlschlager (»bedrohlicher Sowjetkommunismus«) bemüht.
Sie schreiben, nichts aus der NS-Zeit habe in der frühen BRD mehr Kontinuität erfahren als die antikommunistische Propaganda. Und nicht zufällig fanden sich unter den Architekten vorwiegend alte Nazis. Beispielsweise Eberhard Taubert, einst Ministerialrat im Goebbels-Ministerium, Drehbuchautor des Hetzfilms »Der ewige Jude« und dann 1950 Mitgründer des Volksbundes für Frieden und Freiheit (Nachfolgeorganisation der Antikomintern), der vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen unterstützt wurde. Taubert soll auch blendende Beziehungen zu Hans Globke gehabt haben. In der neuen-alten antikommunistischen Propaganda musste der Antisemitismus aufgrund der Westbindung als ein ehemals tragendes Element herausfallen. Wodurch wurde das fehlende Schreckgespenst ersetzt?
Ja, aus der »jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung« wurde »jüdisch« herausgefiltert – »bolschewistisch« reichte. Taubert bemerkte dazu 1955, das »jüdisch« sei doch einfach eine Marotte von Hitler gewesen. Die offizielle US-Umerziehungspolitik war besonders auf die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus gerichtet – der war tabu in der BRD. Minister Strauß pflegte beste Kontakte zu Israel, dazu gehörten auch Waffenlieferungen. Da hätten Anflüge von Antisemitismus nur gestört. Aber sonst brauchte man nichts zu ändern. Der Antibolschewismus war ja keine Erfindung der Nazis, sondern war aus der Propaganda des Bürgertums in der Weimarer Republik übernommen worden. Also konnte man nach 1950 daran anknüpfen, etwa mit vertrauten Bildern von der »roten Flut«. Die frühe Bundesrepublik musste sich auch von dem Verdacht freimachen, sie würde mit der UdSSR um der Wiedervereinigung willen kooperieren. Entsprechend förderten die zuständigen US-Stellen inoffiziell und diskret die Rekrutierung ehemaliger NS-Propagandisten.
Welche historischen Ereignisse und Entwicklungen waren für die Entstehung des sozialdemokratischen Antikommunismus entscheidend?
Die Menschen machen bekanntlich ihre eigene Geschichte. Zu den Altlasten gehörte die Verantwortung für das Scheitern der Weimarer Republik. Die SPD hatte nach 1918 darauf gesetzt, durch Garantie der Grundfreiheiten und ein parlamentarisches Regierungssystem schrittweise zur Herrschaft der Arbeiterklasse und zum Sozialismus zu kommen. …
Das komplette Gespräch erscheint in der Melodie & Rhythmus 3/2021, erhältlich ab dem 18. Juni 2021 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.