
Emphatische Werkfreude: Arbeit im Steinbruch des Kibbuz von En Harot 1941
Foto: GPO
Die Arbeit im Liedgut des Zionismus
Moshe Zuckermann
Die Bedeutung von Arbeit im Judentum lässt sich schon aus der biblischen Erzählung der Vertreibung aus dem Paradies ersehen. »Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen«, sagt Gott dem ins Werkleben hinausgetriebenen Adam. Damit wird sowohl der Fluch der Fron ausgesprochen, zugleich aber auch Arbeit als Bedingung des Überlebens, mithin Ausgangspunkt der Zivilisation angezeigt. Nicht von ungefähr sind danach im 1. Buch Mose, 4 die um die Gunst des Herrn buhlenden Gebrüder Kain und Abel durch ihre Berufe charakterisiert: Der eine ist Bauer, der andere Hirt.
Die berüchtigte Stigmatisierung »der Juden« als arbeitsscheu, gar parasitär war stets dem traditionellen Judenhass und dem modernen Antisemitismus geschuldet. Die judenfeindlichen historischen Bedingungen, die dazu führten, dass die Juden im Exil in die Berufe der Zirkulationssphäre getrieben worden waren, wurden dabei vom Antisemitismus nie mitbedacht. Aber die Auswirkungen dieses geschichtlichen Grundumstands schlugen sich nicht nur darin nieder, dass sie zuweilen von den Juden selbst verinnerlicht wurden, sondern sie sollten auch in die ideologische Emphase und das Pionierpathos des modernen Zionismus eingehen. Denn insofern die Negation der Diaspora als das zur Kampfparole geronnene zionistische Zentralpostulat gelten darf, bedeutete dem Zionismus die Überwindung des von ihm als solches apostrophierten »diastolischen Elends« und die mit dieser Überwindung einhergehende Absage an die (nicht zuletzt beruflichen) Lebenspraktiken des Exildaseins die Renaissance der Arbeit in dem sich historisch formierenden jüdischen Nationalismus und in der sich durch dessen politische Bewegung konstituierenden nationalstaatlichen Heimstätte des Neuen Juden. Als zentral wurde hierbei das Moment der Arbeit hervorgehoben, welche von nun an entsprechend nicht mehr »jüdische Arbeit«, sondern avoda iwrit (»hebräische Arbeit«) hieß. Der sich vom diasporischen Judentum absetzenden Arbeit eines neuen »Hebräertums« galt es zu huldigen – und zwar nicht nur als praktizierte Lebenswelt, sondern auch kulturell.
Dabei verkoppelten sich die ideologisch-historischen Koordinaten des aufkommenden Zionismus. Da der Zionismus am Ende des 19. Jahrhunderts noch nicht im Besitz des Territoriums war, auf welchem der anvisierte Judenstaat errichtet werden sollte, mithin das Territorium noch gar nicht besiedelt werden konnte, weil das jüdische Kollektiv noch lange nicht konsolidiert war und die massive Einwanderung von Juden nach Palästina erst noch bevorstand, musste dieses realhistorische Defizit ideologisch überwunden werden. Dass »ein Volk ohne Land in ein Land ohne Volk« einwanderte, war eine zugleich notwendige wie verlogene Parole, die man sich konstruierte. Denn nicht nur existierte im beanspruchten Territorium Palästinas bereits ein nichtjüdisches Kollektiv, sondern die allermeisten Juden jener Zeit sahen das »Land ohne Volk« auch mitnichten als ihr Land an bzw. empfanden eine Affinität zu ihm nur im biblisch-archaischen Sinne, ohne dass dies ihr reales Leben in ihren jeweiligen Residenzländern tangiert hätte.
Den kompletten Artikel lesen Sie in der Melodie und Rhythmus 3/2016, erhältlich ab dem 29. April 2016 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
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