Melodie & Rhythmus

Raubkopierer verzweifelt gesucht

24.02.2011 22:49

Der Musikindustrie gehen langsam die Argumente aus

In Deutschland schaufelte sich die Musikindustrie am 13. September 2003 ihr eigenes Grab. Mit dem neuen Urheberrechtsgesetz schränkte die Bundesregierung die Rechte der Plattenkäufer weiter ein und Verbot explizit die Umgehung des Kopierschutzes. Dieser verhinderte aber nicht nur das Kopieren, sondern auch das Abspielen der CDs auf Playern im Computer oder im Auto. Der Kunde wurde zum dummen Kind erklärt, dem man ein Spielzeug überlässt, mit dem es aber nur in einem Eckchen seines Zimmers spielen darf – und keinen Zentimeter daneben.

Ein derart dreistes Gefälligkeitsgesetz zu Gunsten der Partikularinteressen weniger Konzerne hatte es bis zur Regierungsbeteiligung der FDP nicht gegeben. Die Empörung war gewaltig, und sie manifestierte sich im Boykott. CDs mit Kopierschutz wurden nicht gekauft. Fachmagazine veröffentlichten Listen mit Namen von kopiergeschützten CDs, um ihre Leser vor Fehlkäufen zu bewahren. Der Käuferstreik, der europaweit funktionierte, zwang alle Label in die Knie. Sie gaben nach und nach den Kopierschutz auf.

In ihrer Unfähigkeit, die rückläufigen Verkäufe mit dem eigene Versagen zu verknüpfen, suchten die Konzernstrategen Sündenböcke. Sie fanden sie in einer Gruppe Menschen, für deren Kriminalisierung sie das Kunstwort »Raubkopierer« erfanden. Zwar ist längst erwiesen, dass Leute, die Musik auf digitalem Weg tauschen, mehr Geld für physische Tonträger ausgeben als jene, die sich von Tauschbörsen fernhalten, aber das interessiert die Label nicht.

Sie halten an ihrer modrig riechenden und völlig wirkungslosen Politik der Abschreckung fest: Dümmliche »Raubkopierer sind Verbrecher«-Spots, mobile Show- Raubkopierer verz wei felt ges ucht Der Musikindustrie gehen langsam die Argumente aus Gefängnisse und immer wieder Lobbyarbeit für die nächste Verschärfung des Urheberrechtsgesetzes. Denn jeder Kunde ist ein potentieller Kopierer – und damit ein Feind.

Um sich in den gesetzgebenden Gremien der Bundesregierung unentbehrlich zu machen, veröffentlichen die Lobbyisten regelmäßig Zahlen mit ganz vielen Stellen links neben dem Komma. Das sind dann die angeblichen Verluste der Musikindustrie, die durch das Kopieren entstehen.

Ebenfalls beliebt sind Statistiken über die Anzahl der Downloads. Die britische Analysefirma Envisional hat im Auftrag von NBS Universal den Datenverkehr im Netz beobachtet, speziell in Bittorrent-Netzwerken. 99 Prozent aller dort getauschten Werke sollen urheberrechtlich geschützt gewesen sein. Der Anteil der Musikdateien gerade mal 2,9 Prozent. In Worten: Zwei Komma Neun Prozent.

Jürgen Winkler

Der Beitrag erscheint in der melodie&rhythmus 2/2011.

Anzeigen

TOP 10: Dezember 2024

Liederbestenliste

Ältere M&R-Newsletter

M&R-Newsletter 4/2024

Triumph der Reaktion

M&R-Newsletter 3/2024

Repressives Dogma

M&R-Newsletter 2/2024

»Eine neue Flamme«

M&R-Newsletter 1/2024

Verordneter Philosemitismus

M&R-Newsletter 4/2023

Wiederschlechtmachung

M&R-Newsletter 3/2023

Ideologische Supermacht
»Komm auf die dunkle Seite!«

M&R-Newsletter 2/2023

Kriegsstifter und Friedenshetzer
Lachend in den dritten Weltkrieg?

M&R-Newsletter 1/2023

Sag mir wo die Blumen sind
Nie wieder Frieden

Aus dem M&R-Archiv

Auf Ostfrontlinie gebracht
Nationalistische Parolen, Geschichtsklitterung, Hassexzesse, sogar Begeisterung für den totalen Krieg – einer wachsenden Zahl von Künstlern und Intellektuellen ist offenbar jedes Mittel recht, um sich der neuen Volksgemeinschaft gegen Russland anzudienen. weiterlesen

Melden Sie sich für unseren Newsletter an

Rudolstadtfestival 2023: Viva Cuba

Fotos von Katja Koschmieder und Jens Schulze weiterlesen

In eigener Sache

Wenn die Kraft fehlt
Weshalb der Verlag 8. Mai das Kulturmagazin Melodie & Rhythmus einstellt

Leider müssen wir heute eine schmerzliche Niederlage eingestehen: Das Magazin für Gegenkultur Melodie & Rhythmus (M&R) kann nicht weiter erscheinen. Das hat verschiedene Gründe, sie sind aber vor allem in unserer Schwäche und in der der Linken insgesamt zu sehen. weiterlesen

*****************

»Man hat sich im ›Grand Hotel Abgrund‹ eingerichtet«
Zum Niedergang des linken Kulturjournalismus – und was jetzt zu tun ist. Ein Gespräch mit Susann Witt-Stahl

Ausgerechnet vor einem heißen Herbst mit Antikriegs- und Sozialprotesten wird M&R auf Eis gelegt – ist das nicht ein besonders schlechter Zeitpunkt?
Ja, natürlich. … weiterlesen

logo-373x100

Facebookhttps://www.facebook.com/melodieundrhythmus20Twitter20rss

Jetzt abonnieren

flashback