Der Musikindustrie gehen langsam die Argumente aus
In Deutschland schaufelte sich die Musikindustrie am 13. September 2003 ihr eigenes Grab. Mit dem neuen Urheberrechtsgesetz schränkte die Bundesregierung die Rechte der Plattenkäufer weiter ein und Verbot explizit die Umgehung des Kopierschutzes. Dieser verhinderte aber nicht nur das Kopieren, sondern auch das Abspielen der CDs auf Playern im Computer oder im Auto. Der Kunde wurde zum dummen Kind erklärt, dem man ein Spielzeug überlässt, mit dem es aber nur in einem Eckchen seines Zimmers spielen darf – und keinen Zentimeter daneben.
Ein derart dreistes Gefälligkeitsgesetz zu Gunsten der Partikularinteressen weniger Konzerne hatte es bis zur Regierungsbeteiligung der FDP nicht gegeben. Die Empörung war gewaltig, und sie manifestierte sich im Boykott. CDs mit Kopierschutz wurden nicht gekauft. Fachmagazine veröffentlichten Listen mit Namen von kopiergeschützten CDs, um ihre Leser vor Fehlkäufen zu bewahren. Der Käuferstreik, der europaweit funktionierte, zwang alle Label in die Knie. Sie gaben nach und nach den Kopierschutz auf.
In ihrer Unfähigkeit, die rückläufigen Verkäufe mit dem eigene Versagen zu verknüpfen, suchten die Konzernstrategen Sündenböcke. Sie fanden sie in einer Gruppe Menschen, für deren Kriminalisierung sie das Kunstwort »Raubkopierer« erfanden. Zwar ist längst erwiesen, dass Leute, die Musik auf digitalem Weg tauschen, mehr Geld für physische Tonträger ausgeben als jene, die sich von Tauschbörsen fernhalten, aber das interessiert die Label nicht.
Sie halten an ihrer modrig riechenden und völlig wirkungslosen Politik der Abschreckung fest: Dümmliche »Raubkopierer sind Verbrecher«-Spots, mobile Show- Raubkopierer verz wei felt ges ucht Der Musikindustrie gehen langsam die Argumente aus Gefängnisse und immer wieder Lobbyarbeit für die nächste Verschärfung des Urheberrechtsgesetzes. Denn jeder Kunde ist ein potentieller Kopierer – und damit ein Feind.
Um sich in den gesetzgebenden Gremien der Bundesregierung unentbehrlich zu machen, veröffentlichen die Lobbyisten regelmäßig Zahlen mit ganz vielen Stellen links neben dem Komma. Das sind dann die angeblichen Verluste der Musikindustrie, die durch das Kopieren entstehen.
Ebenfalls beliebt sind Statistiken über die Anzahl der Downloads. Die britische Analysefirma Envisional hat im Auftrag von NBS Universal den Datenverkehr im Netz beobachtet, speziell in Bittorrent-Netzwerken. 99 Prozent aller dort getauschten Werke sollen urheberrechtlich geschützt gewesen sein. Der Anteil der Musikdateien gerade mal 2,9 Prozent. In Worten: Zwei Komma Neun Prozent.
Jürgen Winkler
Der Beitrag erscheint in der melodie&rhythmus 2/2011.
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