Die Idee einer revolutionären Kunst wurde im 20. Jahrhundert in einer atemberaubenden Radikalität gedacht. Ob Arseni Awraamows der Oktoberrevolution gewidmete »Sinfonie der Fabriksirenen« von 1922 oder Erwin Piscators an das Proletarische Theater anknüpfende »Revue Roter Rummel« von 1924 − die Erfolge in den Klassenkämpfen lösten eine regelrechte Eruption in der Kunst- und Kulturproduktion aus. Aber wie beispielsweise Diego Riveras Gemälde »Der Mensch am Scheideweg« (zwischen Sozialismus und Barbarei) von 1933 oder die Gedichte von Roque Dalton in den 1960ern und 70ern zeigen, haben linke Künstler auch in nicht- oder konterrevolutionären Zeiten an revolutionären Formen und Inhalten gearbeitet. Hans Werner Henze hat mit seiner Sinfonia Nr. 6, deren Uraufführung er 1969 in Havanna dirigierte, »Musik gegen die Bourgeoisie« und ein »direktes Bekenntnis zur Revolution« in zwar noch bewegten, aber schon schweren Zeiten komponiert, als die internationale antikapitalistische Linke sehr bald in die Defensive geraten sollte. Bereits 1968 hatte er erklärt, Musik könne angesichts der wachsenden gesellschaftlichen Widersprüche nur noch als »Akt von Verzweiflung« verstanden werden, und verwies auf die Dringlichkeit der Schaffung des »größten Kunstwerks der Menschheit«: der Weltrevolution. Was gilt fast 50 Jahre später, seit der schweren Niederlage von 1989/90 und Alleinherrschaft des Kapitalismus − was bleiben der Kunst und Kultur außer einer kämpferischen großen Weigerung? Und wie kann eine radikale Verneinung des Bestehenden produktiv in eine Ästhetik einer neuen konkreten »Utopie von der Freiheit des Menschen« (Henze) übersetzt werden?
Es diskutieren:
Konstantin Wecker (Liedermacher)
Wieland Hoban (Komponist)
Mesut Bayraktar (Schriftsteller)
Moderation: Stefan Huth (Chefredakteur junge Welt)