Die Gesellschaft im Bann eines sich immer autoritärer gebärdenden Kapitalismus schreit förmlich nach einer widerständigen (populären) Kultur. Aber die Gravitationskräfte des alles beherrschenden entfesselten Marktes sind enorm. Wie die Hippie-, Punk- und Hip-Hop-Bewegung bewiesen haben, vermag er jeden noch so radikalen Protest zu integrieren, in Wert zu setzen, zu neutralisieren − häufig sogar gegen seine Träger in Stellung zu bringen. Eine mit Radical Chic camouflierte neoliberale Subkultur singt längst das Hohelied der Anpassung und vermittelt die Botschaft, dass die Wirklichkeit sich nicht erkennen, nur noch anerkennen lasse; selbst für Kriegsreklame hat sie sich als rekrutierbar erwiesen. »Die Herzen in Brand setzen«, wie es einst der Schauspieler und Sänger Ernst Busch gefordert hat − ist das noch machbar? Herrschen überhaupt noch intakte Bedingungen der Möglichkeit einer von unten aufsteigenden Agitprop-Massenkultur (wie es sie mit den kommunistischen Arbeiterchören in den 1920ern, aber auch noch Anfang der 80er-Jahre mit dem Sogenannten Linksradikalen Blasorchester in der Anti-AKW-Bewegung gegeben hat), die nicht im Handumdrehen von der Kulturindustrie einkassiert wird? Und vermögen Humor und Satire heute im allgemeinen Zustand völliger Verblendung weiterhin, »die Wahrheit aufzublasen, damit sie deutlicher wird« (Kurt Tucholsky) und ideologiekritisch wirken kann?
Es diskutieren:
Diego Castro (Musiker, Maler)
Moderation: Susann Witt-Stahl (Chefredakteurin Melodie & Rhythmus)