Wie die Rolling Stones 1965 in den USA das konsumkritische »Satisfaction« schrieben und ihre Songs Jahrzehnte später selbst für die Werbung freigaben
Text: Gerd Schumann, Foto: Dario Pignatelli/Reuters
Die Wende, die unvollendet bleiben sollte, begann in Clearwater/Florida und ist datiert auf die Nacht vom 6. zum 7. Mai 1965. Die Rolling Stones hatten gerade das fünfte Konzert ihrer dritten US-Tour gespielt, Keith Richards konnte nicht schlafen, beschäftigte sich mit seiner Gitarre – heraus kam dabei einer der bekanntesten Riffs der Rockgeschichte. Am nächsten Tag schlug Richards seinem Glimmer-Twin-Bruder Mick Jagger eine Textzeile dazu vor: »I can‘t get no satisfaction«. Jagger war begeistert und schrieb den Song zu Ende.
Die Musiker aus England, dem Geburtsland der Arbeiterklasse, waren ziemlich genervt gewesen von der rasanten Kommerzialisierung des gesamten Alltags im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, ebendort, wo irgendein Mann im Radio einem erzählte, »wie weiß meine Hemden sein könnten« und andere »nutzlose Informationen« absetzte, die zum Konsum anregen sollten – dabei »rauchte der Typ nicht mal dieselbe Zigarette wie ich«. Keine Befriedigung nirgends. Ein einziges kleines Lied formulierte die Stimmung der jungen Generation, ein paar Jungs aus Europa fassten das Unwohlsein in einfache Worte – und sie galten nicht nur dem sinnentleerten Konsum, sondern der damit verbundenen Manipulation. Der Kauf von Waren aus Prestigegründen, Hemden, Ford Capris. Und von Lebensmitteln: Heinz Ketchup aus überquellenden Supermarktregalen hier, Hunger dort.
Der Beat des verrockten Rhythm‘-and-Blues der Stones stampfte innerhalb kurzer Zeit an die Spitze der US-Charts und schwappte dann auch über den großen Teich. Rock hat was mit Sex zu tun, Jaggers diesbezügliche Andeutungen in dem Song führten zu Verboten der dritten Strophe, Sex ist Dreck, darüber redet man nicht, proklamierten die alten und neuen Biedermänner. Und irgendwie muss Jagger ob der politischen Wirkung von »Ich kann keine Befriedigung erhalten« – ganz schön sperrig auf Deutsch – dann doch mulmig geworden sein. »Ich möchte lieber sterben, als noch mit 45 ›Satisfaction‹ zu singen«, meinte er. Sein Wunsch blieb unerfüllt – aber Pete Townshend und Roger Daltrey leben ja auch noch und führen gegebenenfalls sogar »My Generation« (Werbung für VW Multivan) auf. Gelogen war die Zeile » I hope I die before I get old« trotzdem nicht.
Auch die Stones weigerten sich, den Weg vom selbst artikulierten Unwohlsein zum praktizierten Protest zu gehen. Zwei Jahre nach Satisfaction beobachteten sie zwar, dass sich ganz schön was getan hatte – everywhere I hear the sound of marching, charging feet, boy – aber damit wollten sie dann doch nicht allzuviel zu tun haben.
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