Foto: Wilhelm Bertram
Herbert Marcuses »Eindimensionaler Mensch« feiert seinen 50. Geburtstag
Die Professoren am Frankfurter Institut für Sozialforschung, allen voran Max Horkheimer, Theodor W. Adorno und Herbert Marcuse, gelten als geistige Väter der Studentenrevolten der 1960er-Jahre. Während die ersten beiden kritische Distanz wahrten, avancierte der in Kalifornien und Berlin lehrende Marcuse zu einer populären Leitfigur der Proteste und sprach diesseits und jenseits des Atlantiks zu Tausenden junger Zuhörer. Sein Werk gilt daher als optimistische »Volksausgabe« der Kritischen Theorie.
Dabei bot seine Gesellschaftsanalyse eigentlich kaum Anlass zur Hoffnung: In seinem Hauptwerk »One-Dimensional Man« von 1964 (deutsche Ausgabe 1967) warnte er vor einem totalitär werdenden Kapitalismus, einer »Gesellschaft ohne Opposition«, in der die Voraussetzungen kritischen Denkens, ebenso Kunst, die in der Lage ist, eine andere, utopische Dimension der Wirklichkeit abzubilden, zusehends »technisch unmöglich« würden. Die Macht der Medien hielt er damals schon für so gewaltig, dass er schrieb: »Das Nichtfunktionieren des Fernsehens und verwandter Medien könnte erreichen, was die immanenten Widersprüche des Kapitalismus nicht erreichten – den Zerfall des Systems« – ein, wie er meinte, »leider phantastisches« Beispiel.
Dennoch gab er die Hoffnung nicht auf. Er setzte sie etwa in die Neuen Sozialen Bewegungen und in avantgardistische Kunst. Letztere aber laufe ständig Gefahr, in die »Zahnräder einer Kulturmaschine, die ihren Inhalt ummodelt«, hineingezogen und der Gesellschaft, der sie entgegensteht, einverleibt zu werden. In den Massenmedien, welche die Bevölkerung »zu einem einzigen, ungeheuer großen, gefangenen Publikum« machen, wird sie mit kommerziellen Mitteilungen vermischt, zur Ware gemacht und ihres widerständigen Potentials beraubt.
Was kann Marcuses Werk uns heute, nach 50 Jahren, noch sagen? Ist seine Befürchtung eingetreten, der »eindimensionale Mensch« vielleicht schon Wirklichkeit? Oder irrte Marcuse mit seiner Prognose?
Wir haben die folgenden Musiker, Schriftsteller und exponierte Vertreter der Kritischen Theorie gefragt:
Diether Dehm ist Musikproduzent, Liedermacher und Politiker der Partei Die Linke. Seit den 1960er-Jahren schreibt und singt er Protestlieder.
Gunzelin Schmid Noerr ist Philosoph und Vertreter der Kritischen Theorie. Er hat, zusammen mit Alfred Schmidt, die Gesammelten Schriften von Max Horkheimer herausgegeben.
Moshe Zuckermann ist Kritischer Theoretiker und Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv.
Morus Markard ist Hochschullehrer und Mitbegründer des Forums Kritische Psychologie, außerdem Mitglied im Redaktionsbeirat der Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften Das Argument.
Ben Watson ist Mitbegründer der Association of Musical Marxists in London und Autor von Beiträgen zur marxistischen ästhetischen Theorie. 2011 erschien sein Buch »Adorno for Revolutionaries«.
Erasmus Schöfer ist Schriftsteller, der kritische Literatur mit politischem Engagement verbindet und Partei ergreift – etwa für Arbeiter und sozial Deklassierte, gegen Krieg und Naturzerstörung. Sein Hauptwerk ist die Roman-Tetralogie »Die Kinder des Sisyfos«.
Die Antworten und Stellungsnahmen lesen Sie in der M&R 6/2014, erhältlich ab dem 31. Oktober 2014 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
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