Lizenziere einen Song
Die folgende Geschichte erzählte uns Tobias Kirmayer, Besitzer der kleinen Plattenfirma Tramprecords. Wir wollten sie unseren Lesern nicht vorenthalten, weil sie an einem Beispiel erklärt, warum nur ein geringer Bestand der Backkataloge der Major-Labels im Handel erhältlich ist. Der größte Teil verschimmelt in Archiven, und zwar auch dann, wenn sich andere Leute darum bemühen, die Musik kostenpflichtig zu lizenzieren. Daran scheinen die großen Firmen kein Interesse zu haben. Lieber keine Veröffentlichung, als ein Produkt mit eigenen Künstlern bei der Konkurrenz – und sei sie noch so winzig.
»Ich wollte vor Weihnachten einen Sampler mit Christmas-Songs aus den Genres Funk, Soul und Jazz veröffentlichen. Mitte Juni habe ich in Deutschland zwei Major-Label kontaktiert und darum gebeten, je drei Songs lizenzieren zu dürfen. Ein Song wurde von ihnen sofort ausgeschlossen. Vielleicht lag es daran, dass dieser Song der einzige war, bei dem der Künstler noch lebte. Für die anderen Songs müsse man in den USA nachfragen. Ich nahm an, dass es für mich weniger ein Zeitproblem als eine Frage der Lizenzhöhe sein würde. Ich hatte mich getäuscht.
Vier Wochen lang passierte bei den Majors nicht viel. Dann intensivierte ich den Kontakt. Wenn ich meinen Veröffentlichungstermin Mitte November halten wollte, brauchte ich bis Anfang September eine Zu- oder Absage.
Die sechs Major-Songs waren eigentlich essenziell, weil die Compilation ohne diese Titel nur 12 Songs umfasst hätte. Das wäre viel zu wenig für eine CD, vor allem, weil die meisten Songs nur die klassische Spieldauer von 2:30 Minuten besitzen.
Ich war immer noch optimistisch und dachte, ich würde wenigstens eine Absage erhalten. Aber die Labels hielten mich hin. Ich überlegte, was der Grund sein könnte. Vielleicht, weil sie selbst eine Weihnachtscompilation herausbringen und sich keine Konkurrenz schaffen wollten?
Ab Ende Juli telefonierte und mailte ich mehrmals wöchentlich. Die Ansprechpartner waren nur selten zu erreichen, Rückrufe gab es nie, die Mails blieben unbeantwortet. Meine Partner wussten, dass die Deadline immer näher rückt. Als ich merkte, dass ich auflaufen würde, wollte ich das Projekt beenden. Ich ahnte, dass ich bis Anfang September nichts erreichen würde. Ich sollte mich nicht irren.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich viel Zeit und Energie in den Sampler investiert. Ich dachte vor allem an die unbekannten Künstler, die ich auf der Compilation präsentiere. Sie sollten ein wenig populärer werden. Ich beschloss, die Platte ohne die Majors zu produzieren.
In seiner letzten Mail schrieb einer meiner Ansprechpartner: »Es tut mir sehr leid, aber ich befürchte, ich muss die Titel nun absagen, wenn heute Deadline ist. Vielleicht klappt es ja nächstes Jahr mit etwas mehr Anlaufzeit!« Zehn Wochen genügten nicht, um eine Lizenzanfrage für eine simple Compilation zu entscheiden. Das glaube, wer will.«
Der Beitrag erscheint in der melodie&rhythmus 6/2011, erhältlich ab dem 2. November 2011 am Kiosk oder im Abonnement.
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