Bei der DIDF-Jugend wächst und gedeiht proletarisch-internationalistische Gegenkultur
Wenn die Jugend der Föderation der Demokratischen Arbeitervereine (DIDF) eine Reise tut, dann gibt es musikalisch einiges zu erleben. Auf ihren jährlichen Jugendsommercamps ist wenig Sound aus der Konserve zu hören. Vielmehr ertönt aus ihren Zelten – oft sogar mehrstimmiger − Gesang, begleitet von Gitarren und traditionellen türkischen Instrumenten; beim Volkstanz Halay wird auch gern eine heiße Sneakersohle auf den Rasen gelegt.
Diese große Freude an der Tonkunstpraxis fand schon 1996 Ausdruck mit dem Aufbau einer Live-Musik-AG. Seitdem kommen in den Camps ebenso Anfänger, die erst vor kurzer Zeit ein Instrument erlernt haben, wie ausgebildete Musiker mit Bühnenerfahrung zusammen. »Wir wissen vorher nie, wer an der AG teilnehmen wird. Mal ist es ein neuer Rapper, mal eine Querflötistin«, berichtet der Leiter Veli Can. Die meist rund ein Dutzend Akteure zählende Gruppe trifft sich dann täglich, um gemeinsam Stücke einzuüben: größtenteils von der internationalen Arbeiterbewegung überlieferte Lieder, aber auch Popsongs. Viele Titel des Repertoires werden in türkischer oder kurdischer, nicht wenige in deutscher und immer mehr in englischer Sprache gesungen. Diesen Sommer, beim Camp am Attersee in Oberösterreich, stand »Die Arbeiter von Wien« in Türkisch und Deutsch auf dem Programm – eine sensible Interpretation, in der auch der Schmerz der opferreichen Niederlage nach dem verzweifelten Aufbäumen der Kommunisten gegen den Austrofaschismus ab Ende der 1920er-Jahre anklingt.
Die jungen Musiker wissen, dass sie in der Unterhaltungsindustrie, die alle kritischen Gehalte linker Kultur zerstört, einen mächtigen Gegner haben. »Mich machen beispielsweise die Discoversionen von ›Bella ciao‹ total wütend. Die antifaschistische Botschaft wird völlig verwässert – der Kommerz verschlingt einfach alles«, meint Saz-Spieler Eren. »Es ist sehr schwer, eine antikapitalistische Musiktradition zu retten, von der heute kaum noch jemand etwas wissen will«, ergänzt Gitarrist und Sänger Merlin.
Beide spielen in einem neuen Projekt der Live-Musik-AG mit, das eine Menge künstlerisches Potenzial hat: 2018 hat sie eine Band aus sieben ausgewählten Musikern gegründet, die auch schon auf Großveranstaltungen wie dem Day-Mer-Festival in London in einem Line-up mit der türkischen Singer-Songwriter-Ikone Selda Bağcan aufgetreten ist. Ein Markenzeichen der Formation, die derzeit noch auf der Suche nach einem Namen ist, sind mehrsprachige Medleys aus westlichen Pophits und türkischen Traditionals zu einem Thema, beispielsweise »Geld«. So wurden »Money, Money, Money« von ABBA und »Para, Para« (Geld, Geld), ein altes türkisches Lied, zu einer neuen Komposition verarbeitet.
Veli Can betont, dass es ihm und seinen Genossen um viel mehr als nur um Freizeitgestaltung geht. »Wir sind keine Lagerfeuer-AG, sondern junge Musiker, die verinnerlicht haben, dass unser Wirken enorm viel Wert für den politischen Kampf hat, in den wir bewaffnet mit Noten, Melodie und Rhythmus ziehen.«
red
Der Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 4/2019, erhältlich ab dem 13. September 2019 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
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