Melodie & Rhythmus

Knäuel der Widersprüche

10.09.2019 14:34
Foto: Gmfilms

Foto: Gmfilms

Der Filmessayist Thomas Heise setzt mit der Familienbiografie »Heimat ist ein Raum aus Zeit« seine Annäherung an verdrängte deutsche Geschichte fort

Bastian Tebarth

Als seine Mutter 2014 starb, erbte er Kartons voller Schriftstücke, Fotos, Dokumente − Material der eigenen Geschichte. Thomas Heise ist jemand, der Umwege scheut. Der 1955 in der DDR geborene Theaterregisseur, Hörspiel- und Dokumentarfilm-autor hat seit den frühen 1980ern ein Werk geschaffen hat, das zum Wichtigsten gehört, was hierzulande an Gesellschaftsanalyse in den letzten Jahrzehnten produziert wurde. Und zu Recht wurde er auf der Berlinale 2019 gefeiert. In seinem neuen Film »Heimat ist ein Raum aus Zeit« liest Heise aus Briefen vor allem seiner Eltern und Großeltern. Zeugnisse von insgesamt drei Generationen – ein ganzes Jahrhundert umspannend. Das erste Dokument datiert von 1914, das letzte kündet vom Tod der Mutter. Heise trägt in zurückhaltendem Hochdeutsch vor, aber sein Berliner Singsang lässt sich nicht in Gänze verbergen. Dazu sieht man in Schwarz-Weiß meist menschenleere Landschaften. In langen Plansequenzen fährt die Kamera an Gebäudefassaden und Waldsäumen entlang und besucht Stationen der Familienbiografie – etwa die ehemalige Heeresversuchsanstalt Peenemünde, wo einst die »Vergeltungsraketen« zusammengeschraubt wurden, und das mittlerweile abgerissene Gestapo-Lager Zerbst, wo Heises Vater als 18-Jähriger im Zweiten Weltkrieg zu Ausschachtungsarbeiten gezwungen wurde und heute Windräder in den Himmel ragen. Es sind von der Geschichte kontaminierte Orte, in deren Sediment Schicksale eingelagert sind. Letztere werden nicht unmittelbar im Bild, aber im Verbund mit den vorgelesenen Textstellen sichtbar.

Heimat ist ein Raum aus Zeit
Regie: Thomas Heise

Der komplette Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 4/2019, erhältlich ab dem 13. September 2019 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

Anzeigen

TOP 10: November 2024

Liederbestenliste

Ältere M&R-Newsletter

Aus dem M&R-Archiv

Auf Ostfrontlinie gebracht
Nationalistische Parolen, Geschichtsklitterung, Hassexzesse, sogar Begeisterung für den totalen Krieg – einer wachsenden Zahl von Künstlern und Intellektuellen ist offenbar jedes Mittel recht, um sich der neuen Volksgemeinschaft gegen Russland anzudienen. weiterlesen

Melden Sie sich für unseren Newsletter an

Rudolstadtfestival 2023: Viva Cuba

Fotos von Katja Koschmieder und Jens Schulze weiterlesen

In eigener Sache

Wenn die Kraft fehlt
Weshalb der Verlag 8. Mai das Kulturmagazin Melodie & Rhythmus einstellt

Leider müssen wir heute eine schmerzliche Niederlage eingestehen: Das Magazin für Gegenkultur Melodie & Rhythmus (M&R) kann nicht weiter erscheinen. Das hat verschiedene Gründe, sie sind aber vor allem in unserer Schwäche und in der der Linken insgesamt zu sehen. weiterlesen

*****************

»Man hat sich im ›Grand Hotel Abgrund‹ eingerichtet«
Zum Niedergang des linken Kulturjournalismus – und was jetzt zu tun ist. Ein Gespräch mit Susann Witt-Stahl

Ausgerechnet vor einem heißen Herbst mit Antikriegs- und Sozialprotesten wird M&R auf Eis gelegt – ist das nicht ein besonders schlechter Zeitpunkt?
Ja, natürlich. … weiterlesen

logo-373x100

Facebookhttps://www.facebook.com/melodieundrhythmus20Twitter20rss

Jetzt abonnieren

flashback