Der Westen mauert beim Copyright. Russland mauert nicht mit
Wenn Rechteinhaber glauben, ihre Rechte würden durch Downloads verletzt, zwingen sie die Internet Service Provider (ISP) mit einem richterlichen Beschluss, Name und Anschrift des verdächtigen Filesharers zu nennen.
Die ISP sind über die Herausgabe der persönlichen Daten ihrer Kunden nicht begeistert. Sie ächzen unter der anschwellenden Flut der Anfragen. Der Verband der deutschen Internetwirtschaft schätzt, dass seinen Mitgliedern pro Monat 300.000 Datensätze vorgelegt werden. Die müssen sie bearbeiten, und das kostet Zeit und Geld.
Deshalb gibt es seit Jahren eine kuriose Allianz: Datenschützer und ISP fordern, dass die Abmahnwalze der Rechteinhaber, die aus der Herausgabe der Kundendaten resultiert, gestoppt wird. Auch in der Einschätzung der Gründe für den Rückgang des Filesharings sind sich ISP und Datenschützer einig: Nicht der Abmahnwahn der Rechteinhaber, sondern die kommerziellen Download-Angebote der Plattenfirmen sind dafür verantwortlich.
Allerdings zimmert hier jeder Krämer an seinem eigenen Laden. In Deutschland muss man sich durch 45 legale Online-Shops quälen, wenn man einen Titel seiner Lieblingsband sucht. Dass man fündig wird, ist nicht gewiss. Alle 45 Shops zusammen bieten lediglich 13 Millionen Titel an. Ein Witz, wenn man allein den weltweiten Bestand an populärer Musik seit Einführung der Vinyl-Schallplatte betrachtet.
Dabei werden die Restriktionen keineswegs abgebaut. Kunden aus Deutschland dürfen nicht in allen Download-Shops der USA einkaufen oder jedes legale Streaming-Angebot benutzen. Und das Kindergartengezänk zwischen Plattenfirmen und regionalen Verwertern eskaliert zunehmend. Der Streit zwischen YouTube, einigen Major-Labels und der GEMA über die Vergütung von Videos besitzt längst den Unterhaltungswert eines Sketches mit Loriot. Dabei kann man die Sache auch ganz anders betrachten: Begrenzung des Copyrights auf zehn Jahre, Legalisierung der Filesharing-Netze, Verbot der Internetsperren bei Copyright-Verstößen. Das forderte der Gründer der Free Software Foundation, Richard Stallmann, im Juni in Berlin.
Zumindest beim Thema »Internetsperren « hat Stallmann die UN auf seiner Seite. Der UN-Menschenrechtsrat stellte in einem Bericht zum Thema »Freie Meinungsäußerung im Internet« fest, dass die »Three Strikes«-Gesetze, die in Frankreich und Großbritannien angewendet werden, eine Verletzung der Menschenrechte darstellen. Nach Ansicht des Menschenrechtsrat verstoßen die Gesetze gegen Artikel 19, Paragraph 3 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte.
Noch überraschender ist die Forderung eines Politikers, den man nicht unbedingt auf Stallmanns Seite vermuten würde. Der russische Präsident Dmitri Medwedew hat das Kommunikationsministerium Russlands beauftragt, ein f lexibleres Copyright-System für das russischsprachige Internet zu entwickeln. Medwedew will u.a. die Creative-Commons-Kultur stärken. Den Anstoß zur Reform gaben ihm Gespräche mit russischen Bloggern und Online-Journalisten. Angela Merkel wird schon wissen, warum sie nur mit Vertretern der Kontentindustrie diniert.
Jürgen Winkler
Der Beitrag erscheint in der melodie&rhythmus 4/2011, erhältlich ab dem 5. Juli 2011 am Kiosk oder im Abonnement.
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