Melodie & Rhythmus

Editorial: »Ei, ei! Ihm wird so wunderlich, so leicht und doch absunderlich!«

29.06.2011 15:17

Wilhelm Busch klärte uns in seiner Bildgeschichte »Hans Huckebein, der Unglücksrabe« über die tödlichen Folgen eines Rausches auf. Keith Richards wollte es trotzdem wissen. In seiner Autobiographie »Life« beschreibt er haargenau, was er zu sich nahm, bevor er im Halbschlaf seine weltberühmten Riffs aufs Tonband murmelte. Der abstinente Henry Rollins dagegen empfindet die Musik als einzige Ekstase, und Dieter Bohlen berauscht sich an sich selbst.

So verschieden die Lebensentwürfe von Musikern sind, so wenig trifft die Legende vom besoffenen und zugedröhnten Superstar zu. Über die Bühne torkeln Rockstars eher selten, von Frau Winehouse abgesehen. Spätestens seit dem Rauswurf von Syd Barrett bei Pink Floyd sollte ein Musiker wissen, dass er sein Hirn zwar mit Drogen durchfeuchten kann, aber möglichst nicht vor oder während des Auftritts. Minutenlang den gleichen Ton auf der Gitarre zu dengeln, weil man geistig durch die fünfte Dimension driftet und mit Buddha einen Plausch hält, stellt die Geduld der nüchternen Bandmitglieder auf eine harte Probe.

Selbst im Stoner Rock, der den Drogenrausch im Namen trägt, lässt man die Finger von Ingredienzien, die auf der Bühne stoned machen. Warum das so ist, erzählt Dave Wyndorf, Sänger der legendären Stoner Rock-Band Monster Magnet (S. 42). Debbie Harry naschte in den 80er Jahren von diversen Substanzen, die ihren Geist in eine Traumwelt reisen ließen. Über diese Zeit spricht sie heute wie über ein entferntes Leben (S. 63). Jim Morrison hatte weniger Glück. Am 3. Juli 1971 ist er an den Folgen seines Drogenkonsums gestorben. Seinen 40. Todestag würdigen wir mit einer Rückschau auf sein exzessives Leben (S. 54).

Rausch kann auch Bestandteil einer Religion sein. Klaus Walter beschreibt den Zusammenhang zwischen Ganja und Rastafarians (S. 52). Über die Anfälligkeit von Stars für Drogen spricht Prof. Borwin Bandelow im Interview (S. 50). Wie tief die Rauscherfahrungen im menschlichen Bewusstsein verankert sind, erklärt Prof. Gundula Barsch am Beispiel von »Rotkäppchen und der böse Wolf« (S. 82). Warum wir überhaupt die Gier nach Rausch und Ekstase in uns tragen, hinterfragt Wolf Kampmann (S. 38).

Als abstinente Redaktion, die nach protestantischer Sitte nur den Arbeitsrausch kennt, werden wir seit Tagen von körpereigenen Glückshormone bedröhnt. Wir können Ihnen nämlich ein sensationelles Angebot machen. Auf Seite 97 haben Sie die Möglichkeit, Tickets für spektakuläre Festivals zu gewinnen. Wenn Sie zuvor die Seiten 1 bis 96 und auch die Seite 98 gelesen haben, erhöhen Sie zwar nicht Ihre Gewinnchancen, aber Sie fühlen sich viel klüger und so gut unterhalten wie nie zuvor. Und falls nicht, denken Sie daran: »Der Tisch ist glatt – der Böse taumelt – Das Ende naht – sieh da! Er baumelt.«

Herzlichst,
Ihre m&r-Redaktion

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