
Illustration: Eva Schönfeld
»Mein Kampf«, gelesen von Helmut Qualtinger, entlarvt – aber als nun wieder aufgelegtes Buch verstellt es den Blick auf die Ursachen des Faschismus
Gerd Schumann
Ich erinnere mich an Helmut Qualtinger (1928–1986). Physisch imposant fläzte er sich auf die Bühne des Hamburger Thalia-Theaters, den Lockenkopf mit der Hand abgestützt. Das muss 1973 gewesen sein. Wir, damals noch junge Gewerkschaftsaktivisten aus der Provinz, wollten mit ihm über seine Inszenierung von Franz Xaver Kroetz‘ Stück »Oberösterreich« diskutieren, also über die Entfremdung des Individuums von sich selbst, bewirkt durch die unsoziale Umgebung, die es abstumpfen lässt und vereinzelt, bis es sich rat- und hilfl os den Verhältnissen ergibt. Qualtinger, der geniale Nörgler und barsche Kritiker menschlichen Kleingeists, ließ sich nicht darauf ein: Ihn interessierten nicht die Ursachen, sondern die Folgen. Uns war das zu wenig.
Wie auch sein Skandalauftritt im selben Jahr auf derselben Bühne, als er in einer furiosen Lesung das damals verbotene Buch »Mein Kampf« vortrug: Das reicht nicht, meinten wir, um zum Wesen des Faschismus vorzudringen. Doch gelang es Qualtinger, die monströsen Versatzstücke, aus denen der Autor Adolf Hitler 1924 in Festungshaft die Nazi-Ideologie zu einem rassistischen, hetzerischen, unfassbar platten und zugleich furchterregenden Konstrukt zusammengefügt hatte, zu sezieren: Indem er deren Unerträglichkeit vorführte, drängte er die Zuhörenden dazu, sich zu schaudern, vielleicht sogar vor sich selbst oder doch zumindest den Vorfahren, die dem erbärmlichen Autoren auf den Leim gegangen waren. Wie nur? …
Helmut Qualtinger liest »Mein Kampf«
filmedition suhrkamp
ISBN: 978-3-89848-579-1
Den kompletten Artikel lesen Sie in der Melodie und Rhythmus 2/2016, erhältlich ab dem 26. Februar 2016 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
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