Ein Kommentar von Susann Witt-Stahl zum Vorstoss neu-rechter Subkultur
Nicht erst Nazi-Punk hat bewiesen, dass Reaktionäre bevorzugt subversive, sogar genuin proletarische Kulturformen vereinnahmen. Die Verstümmlungen der Lieder der Arbeiterbewegung durch die NS-Propaganda in den 1920er-Jahren gelten bis heute als schaurigstes Dokument dieser manipulativen Aneignungspraxis. Seit Pegida und AfD Massentauglichkeit bewiesen haben, lässt die passende Begleitmusik nicht mehr auf sich warten: »Ein gebücktes Volk seit 70 Jahren / Und du darfst nicht sagen, dass du stolz bist, deutsch zu sein / Ohne Gefahr zu laufen, in einem rechten Eck zu landen«, rappt das Hip-Hop-Duo Chris Ares & M.A.N. in ihrem Song »Deutscher Patriot«.
Eine Mittelschicht sowie eine genießende und schweigende Oberschicht, denen es im Kern um die Besitzstandswahrung ihrer Privilegien geht und die zu diesem Zweck – einmal wieder – nicht vor Bündnissen mit Faschisten zurückschrecken, bedürfen in einer noch stabilen bürgerlichen Demokratie mit Sensibilität für die deutsche Vergangenheit einer ausgeklügelten PR: Je mehr sie nach rechts driften, desto vehementer versuchen sie, sich als »Mitte« zu promoten, die es freilich nur in den kruden Theorien der neoliberalen Extremismusforschung gibt.
Dass »Demokratische Mitte« auf die Transparente der Hass-Demos gegen die »Asylinvasion« zu schreiben – wie im November in Wien geschehen – allein nicht ausreicht, um Verfassungspatriotismus zu suggerieren, weiß vor allem die antikritische Intelligenz der Neuen Rechten. Deren Matrix ist die Entsorgung ihrer expansionshemmenden Erblast, zu der mit Auschwitz nicht weniger als ein Menschheitsverbrechen gehört. Nicht zuletzt deshalb hat ihr wichtigster Vordenker Alain de Benoist eine moderne, mit linker Symbolik und dem Widerstandspathos der Unterdrückten aufgeladene »Kulturrevolution von rechts« als Antwort auf die marxistisch geprägten 68er gefordert, die erfolgreich Rechenschaft von der Tätergeneration eingeklagt hatten. Was in Benoists Heimat Frankreich und anderen europäischen Ländern durch die Existenz einer rechten Subkultur Konturen annimmt, könnte mit Musikern wie Chris Ares & M.A.N. auch in Deutschland Legion werden. Wer nach einem welthistorischen Reset strebt, der begeistert sich weniger für mit dem Mief ranzigen Nazi-Blubos behafteten »Volks-Rock’n’Roll« (der nicht zufällig in der aktuellen Staffel von DSDS Einzug gehalten hat) als für rechte Hip-Hopper, die so selbstverständlich die populärste Kulturform der Schwarzen-Ghettos der USA vereinnahmen wie ihre Gesinnungsgenossen »Wir sind das Volk!« lügen.
Als wäre das nicht Misere genug – die eigentlich schlechte Nachricht lautet: Es regt sich keine linke Gegenkulturbewegung, die den »deutschen Patrioten« trotzen könnte. Weit und breit dominiert eine neoliberale Subkultur à la Antilopen Gang & Co, die mit ihrem Sozialchauvinismus und ihrer Hetze gegen jeden kapitalismuskritischen Massenprotest potenziell auch noch den letzten deklassierten Jugendlichen in die Arme der Rechten treiben kann und objektiv nur scheinbar auf der anderen Seite steht.
Der Beitrag erscheint in der Melodie und Rhythmus 2/2016, erhältlich ab dem 26. Februar 2016 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
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