Hat Popmusik noch eine Zukunft?
Es klingt paradox: Während die kapitalistische Ordnung, auf der unsere Popkultur fußt, allen Krisen zu trotzen scheint, weist die Popmusik selbst Verfallssymptome auf, die ihr baldiges Ende prophezeien. Damit ist ausnahmsweise einmal nicht die Entwertung künstlerischer Ideen durch kostenlose Verbreitung im Internet gemeint – auch jenseits netzpessimistischer Lamenti scheint es mit dem Verve des Immer-weiter-so in der Popmusik vorbei. Die durch Digitalisierung angeschobene Restrukturierung der Kulturlandschaft drängt Musik als eigenständige Ausdrucksform in den Hintergrund und lässt sie in Konkurrenz treten zu einer Vielfalt multimedialer und interaktiver Formate, allen voran zu Apps und Computerspielen. Diese haben längst ein solches Maß an gesellschaftlicher Zugkraft erreicht, glänzen durch solche Diversität und Experimentierfreude, dass ein Musikalbum dagegen geradezu starr und eindimensional wirkt. Taugt Popmusik bald nur noch als Museumsstück? Wir lassen folgende These diskutieren:
Popmusik ist ein Auslaufmodell
Pro
Westliche Identitätsbildung in der Krise
In den Hochzeiten der Popmusik war Pop mit Utopie verbunden. In Zeiten, in denen die Idee der Weiterentwicklung durch ein banales Insistieren auf dem Status quo ersetzt wird, hat es diese Popmusik schwer. Jüngst sind mit Lemmy Kilmister und David Bowie zwei Stars gestorben, die für das alte Modell Pop stehen. Der authentische Rock’n’Roller als paradigmatische Figur eines lebenslangen Aufbegehrens gegen die Spießer und der ambige Popstar als Galionsfi gur einer ganzen Generation sophistizierter Poser. Damit sind Vertreter zweier zentraler Popmusik-Prinzipien – Counter Culture und Postmoderne – tot.
Das heißt natürlich nicht, dass deshalb die ganze Popmusik zu Grabe getragen werden muss. Doch die alltägliche Schwierigkeit, Musik zu änden, die signifikant ist für einen bestimmten Zeitabschnitt, zeigt: Das klassische Modell der »Musik zur Zeit« hat nicht überlebt. …
Nadja Geer studierte Philosophie, Germanistik und Amerikanistik, arbeitet als Autorin und Popmusikkritikerin u.a. für Die Zeit, Der Tagesspiegel, taz, Spex und ist Mitherausgeberin der Zeitschrift Pop. Kultur und Kritik. Foto: privat
Contra
In der Verschränkung liegt der Reichtum
Wir haben die Zukunft gesehen – und sie ist poppig. Für diese Prognose reicht bereits ein Blick zurück zu den Ursprüngen, in die US-amerikanischen 1950er-Jahre. Da stand Pop bei den Teenagern auch schon in Konkurrenz nicht nur zu den Comics, zum Sport und anderen Freizeitspielen, sondern ebenfalls zum rasch aufkommenden Fernsehen und zum ungemein populären Hollywood-Kino. Sogar der verwirrend neuartige Star Elvis muss sich daran messen lassen, seine Fans singen nicht das Lied der Einzigartigkeit: »Girls describe Presley as a combina tion of Marlon Brando and James Dean«, berichtet Newsweek im Mai 1956. Selbst Elvis besitzt vielfältige Vorlieben neben der Musik, wie er dem Nachrichtenmagazin zu Protokoll gibt: »Pink-andblack shirts, even a pink-and-black Cad.«
Tatsächlich handelt es sich überhaupt nicht um eine Konkurrenz. Popmusik ist rasch überall dabei, im Film, im Auto, in der Autowerbung, in der Boutique. Sie erklingt schon in den 50er-Jahren nicht nur körperlos aus dem Radio, sondern wird im Zusammenhang mit den neuen Magazinbildern, Covern, TV-Sendungen wahrgenommen. …
Elena Beregow/Thomas Hecken sind Redakteure der Internetseite pop-zeitschrift.de. Beregow ist Soziologin und seit 2015 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hamburg. Thomas Hecken lehrt Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Siegen. Fotos: privat
Die kompletten Debattenbeiträge lesen Sie in der Melodie und Rhythmus 2/2016, erhältlich ab dem 26. Februar 2016 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
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