Die Dirigentin Danitza Villarroel (l.); ein Protestkonzert am 27. Oktober 2019 im O’Higgins Park in Santiago (r.)
Fotos (Montage): AP Photo / Rodrigo Abd, Gerardo Aliaga
Chiles Musiker erheben sich gegen die Piñera-Regierung – mit Werken von Beethoven und Mozart, vor allem aber mit den revolutionären Liedern aus der Allende-Ära
Interview: Susann Witt-Stahl
An den seit Anfang Oktober andauernden Massenprotesten gegen soziale Ungerechtigkeit in Chile sind auch viele Kulturschaffende beteiligt. Darunter die 21-jährige Dirigentin und Violinistin Danitza Villarroel, die das Philharmonieorchester Alimapu in Valparaíso leitet, der Kulturhauptstadt des Landes. M&R sprach mit ihr über die Beweggründe der Musiker, sich dem Widerstand anzuschließen, die künstlerische Tradition, in der sie stehen, und die Repression, der sie ausgesetzt sind.
Bitte schildern Sie uns einige Eindrücke von den dramatischen Geschehnissen in den vergangenen Wochen.
Seit die chilenische Regierung den Ausnahmezustand ausgerufen und die Armee eine Ausgangssperre für Santiago, Valparaíso und andere Städte verhängt hat, sind die Möglichkeiten für öffentliche künstlerische Darbietungen erheblich eingeschränkt. Viele Abendveranstaltungen mussten abgesagt werden; man ist auf dem Heimweg einfach nicht sicher. Laut dem Chilenischen Institut für Menschenrechte wurden mehrere Demonstranten ermordet. Bereits nach wenigen Tagen waren 4.315 Inhaftierungen und 1.659 Verletzte gezählt worden, die im Krankenhaus behandelt werden mussten. Die Zahl der Verwundeten steigt weiter an.
Welche Rolle spielen die Musiker dabei?
Die Leiter verschiedener Orchester, Bands und Chöre haben in dieser Situation entschieden, sich zusammenzuschließen, die friedlichen Proteste im ganzen Land mit Kampfliedern zu unterstützen und den Menschen Ablenkung zu verschaffen – ohne den Kampf zu vergessen! Die Bevölkerung freut sich, dass wir uns aktiv daran beteiligen. Als Musiker müssen wir der Gemeinschaft zur Verfügung stehen. Wir sind solidarisch mit den Forderungen der Demonstranten, zum Beispiel nach einer würdigen Rente, Gesundheitsversorgung und kostenloser guter Bildung. Wir wenden uns gegen den Egoismus und den Wettbewerb, die uns dazu erzogen haben, den zu vergessen, der neben uns steht. Aber unser kreativer Widerstand gilt auch der prekären Lage der Musiker: Viele haben keine feste Anstellung oder müssen aufgrund der starken Zentralisierung des Musiklebens in Großstädte wie Santiago ziehen. Die Mittel für künstlerische Bildung wurden drastisch gekürzt. Die Entscheidung für den Musikerberuf ist heute gemeinhin mit einem Gefühl der Instabilität und Frustration verbunden. Es ist schlimm, dass unser Beitrag zum kulturellen Reichtum der Gesellschaft nicht wertgeschätzt wird. Wir haben jedes Recht, dagegen in der »Demokratie« zu demonstrieren, die durch die Regierung und militärische Gewalt zerstört wird. Wir führen den Kampf auch für meine Genossen, für alle, die zum Schweigen gebracht wurden. Es gibt keine politische Farbe, wir fordern hier Würde für alle.
Wie werden die Musikerproteste organisiert, und welche Aufgaben haben Sie übernommen?
Die Kunst spielt eine Rolle als Akteurin des Wandels und der Bewusstseinsbildung. Die ersten musikalischen Interventionen fanden in den größeren Städten, später überall statt; sogar Chilenen, die sich im Ausland aufhalten, haben sich beteiligt. ….
Übersetzung: Christin Bernhold
Das komplette Interview erscheint in der Melodie & Rhythmus 1/2020, erhältlich ab dem 13. Dezember 2019 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
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