Ein Kommentar von Thomas Koppenhagen zu den Anschlägen von Paris
»Frankreich ist im Krieg«, konstatierte Frankreichs Präsident François Hollande nach den Terroranschlägen vom 13. November 2015 in Paris, und man fragt: Warum nicht schon seit dem Überfall auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo am 7. Januar? Ex-Präsident Valéry Giscard d’Estaing fuhr Hollande in die Parade, indem er klarstellte: »Krieg setzt grundsätzlich einen Invasionsversuch und Grenzverletzungen voraus.«
Nun wissen wir, dass die Terroristen aus Frankreich und Belgien stammen, ergo nicht über die Balkanroute »einsickerten«, und dass das Gerede vom »asymmetrischen Krieg« auf etwas abhebt, wofür Donald Trump die brutalstmöglichen Worte fand. Im Rahmen seiner Wahlkampfkampagne für die Präsidentschaftskandidatur der US-Republikaner gab er sinngemäß folgende Losung aus: Wäre es den Terroropfern im Bataclan-Konzertsaal erlaubt gewesen, Waffen zu tragen, hätte die Situation ganz anders ausgehen können. Mehr Waffen, weniger Tote – diesem Fehlschluss steht Bundesinnenminister Thomas de Maizière mit seiner Ankündigung, eine »robustere Ausstattung der Polizisten im Einsatz« als gebotene Maßnahme zur Gewährleistung der inneren Sicherheit genehmigen zu wollen, in nichts nach. Denn egal, wem genau das Tragen von Feuerwaffen erlaubt ist: Bei einem Angriff wie dem auf das Konzert der Band Eagles of Death Metal im Bataclan, wo die Täter ihre Opfer als Schutzschilde benutzten, macht es absolut keinen Sinn, nach mehr Waffen in noch mehr Händen zu schreien. Der von der französischen Kultusministerin Fleur Pellerin eingerichtete Solidaritätsfond stellt Veranstaltern vier Millionen Euro für finanzielle Ausfälle und für den Aufbau von Sicherheitsvorkehrungen in Aussicht. Hierzulande scheint u.a. der Konzertveranstalter Marek Lieberberg dem Trend zur Aufrüstung entsprechen zu wollen, indem er feststellt: »Wir können uns nicht mit bloßen Händen oder Metalldetektoren gegen Kalaschnikows oder Bomben zur Wehr setzen.«
Was also ist zu tun? Allein Berlin wird in den nächsten beiden Jahren 50 Millionen Euro in Sicherheitspersonal und den Ausbau der Überwachungs- und Kontrollsysteme investieren. Der Journalist Sascha Lobo bringt die Irrationalität der Denkweise, die dahinter steckt, auf den Punkt: »Man findet die Nadel im Heuhaufen nicht, also brauchen wir mehr Heu.« Am erschreckendsten ist vielleicht die weitgehende Freiwilligkeit, mit der sich die Öffentlichkeit dieser Entwicklung ergibt – gerade so, als wären sinistre Losungen wie »Freiheit braucht Sicherheit«, die der Bundespräsident ausgibt, Anweisungen, denen wir Folge zu leisten hätten.
Der Beitrag erscheint in der Melodie und Rhythmus 1/2016, erhältlich ab dem 30. Dezember 2015 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
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