Melodie & Rhythmus

Roger Glover: »Mein Leben ist noch immer in Aufruhr…«

27.08.2011 11:27

Roger Glover (Deep Purple), Foto: Ulrich Grunert

Nachdem Deep Purple in Deutschland im Jahr 2000 erstmals mit Orchester aufgetreten sind, touren sie hierzulande endlich wieder in großer Besetzung. Auf dem Programm steht diesmal allerdings nicht Jon Lords grenzüberschreitendes Kompositionswerk »Concerto For Group And Orchestra«, das 1969 in der Royal Albert Hall in London seine rauschende Uraufführung erlebte. Deep Purple wollen noch einmal Grenzen überschreiten, haben viele bekannte Rocksongs ihres über vier Jahrzehnte andauernden Schaffens im Orchester-Sound neu arrangiert.

Von »Highway Star« über »Maybe I’m A Leo«, »When A Blind Man Cries« und »Woman From Tokyo« bis hin zu »Space Truckin« und » Smoke On The Water« reicht die an Überraschungen reiche Setlist. Vor dem von m&r präsentierten Konzert am 4. Dezember in der Sport- und Kongresshalle Schwerin sprachen wir mit dem Deep Purple-Bassisten Roger Glover über die Höhen und Tiefen des Lebens als Rockmusiker, das geplante Schwerin-Gastspiel am 4. Dezember mit der Neuen Philharmonie Frankfurt, seine Arbeit mit Deep Purple und sein neues Solo-Album »If Life Was Easy« .

Deep Purple werden demnächst im UK, in Deutschland und Skandinavien mit großem Orchester auftreten. Auf dem Programm steht diesmal nicht Jon Lords grenzüberschreitendes Kompositionswerk »Concerto For Group And Orchestra«, sondern bekannte Rocksongs aus über vier Jahrzehnten Bandgeschichte. Wie kam es zu der Idee, Deep Purple-Rocker im Orchester-Sound zu arrangieren?
Die Idee kam uns, weil wir nach mehrjähriger Pause daran dachten, wieder länger durch die USA zu touren. In den USA ist das Profil von Deep Purple sehr stark im Classic Rocksegment verankert. Das frustriert uns, weil wir uns nicht primär als klassische Rockband sehen, sondern eher als Band, die auch in der Gegenwart etwas zu sagen hat. Wir suchten einen Aufhänger, um die Konzerte interessanter gestalten zu können und kamen auf die Idee, mit Orchester unsere Rocksongs zu präsentieren. Es ging diesmal nicht um Jons Concerto. Es war von Anfang an als Rockshow mit Orchesterbegleitung geplant. Unter dem Motto: The Songs That Built Rock. Im Rückblick muss ich sagen, sind wir sehr zufrieden mit den Konzerten. Aber das war nicht vorauszusehen. Man weiß vorher nie, was tatsächlich passieren wird. Jetzt wollen wir das Konzept auch im UK und in Europa verwirklichen. Mit einem großen Orchester zu spielen, bringt eine Menge Spaß. Es ist eine coole Sache.

In Deutschland werden Deep Purple am 4. Dezember in Schwerin gemeinsam mit dem Orchester der Neuen Philharmonie Frankfurt auftreten. In Frankfurt am Main begann Mitte der 60er Jahre auch deine Karriere als professioneller Musiker. Schließt sich damit ein Kreis?
Den Kreis schließen? Nein, nein. Der Kreis soll sich noch lange nicht schließen (lacht). Ich hoffe, wir haben noch eine lange Zeit vor uns. Burn me up slowly! Aber es stimmt! Meine Profi-Karriere begann im Tanzcafe´ Arcadia in Frankfurt. Es waren lange Nächte damals, und wir arbeiteten hart, sehr hart. Von sieben Uhr abends bis drei Uhr am anderen Morgen. In jeder Stunde mussten wir fünfundvierzig Minuten spielen. In der Zeit konntest du eine Menge Songs lernen. Und du hast gelernt, wie du mit deinen blutenden Fingern umgehen musst. Sein Talent aufzubauen, kann mitunter sehr schmerzhaft sein. Aber das ist lange her. Unsere Band hieß Episode Six. Kann sich da überhaupt noch jemand daran erinnern?

Es gibt zwar noch kein neues Deep Purple-Album, aber auf eurer Band-Website wird dein neues Solo-Album »If Life Was Easy« promotet. Es ist ein sehr persönliches Album geworden. Kannst Du etwas zur Entstehungsgeschichte verraten?
Die letzten zehn Jahre waren für mich persönlich sehr schwierig. Es war eine bewegte Zeit. Mein Leben war in Aufruhr. Ich hatte jede Menge Veränderungen zu bewältigen, die einzige Konstante war Deep Purple. Ich habe mich getrennt, habe meine Mutter verloren, bin umgezogen, bekam Familienzuwachs, es passierte viel. Wenn du ein Songschreiber bist, spielen emotionale Dinge am Ende auch in dem einen oder anderen Song eine Rolle. Genau so entstand mein Album »If Life Was Easy«. Es spiegelt mein Leben in den vergangenen zehn Jahren wider.

Anders als bei Deep Purple ist dein Album stilistisch und klanglich nicht aus einem Guss, klingt vielfältig und facettenreich. Hattest Du einen speziellen Soundmasterplan?
Es war nicht unbedingt ein Plan. Lass es mich so erklären: Wenn du dir ein Beatles-Album anhörst, merkst du schnell, jeder Song ist sehr unterschiedlich. Besonders die Phase der letzten Jahre. Der eine kommt in diesem Stil, der andere klingt komplett anders. Und so geht es weiter und weiter. Diese extreme Unterschiedlichkeit macht ein Album spannend, hat mir sehr imponiert. Ich liebe persönlich alle Arten von Musik, kann dadurch ganz unterschiedliche Gefühle ausdrücken. Vielleicht klingt deshalb das Album so unterschiedlich. Es war weniger ein Plan, sondern eher das, was die Songs von ihrer Grundidee her verlangten. Ich denke, der erste instinktive Schritt hin zu einem Song ist immer der beste. Danach versuche ich, so wenig wie möglich daran zu ändern.

Dein Soloalbum hast Du, wie bereits den Vorgänger mit The Guilty Party eingespielt. Ist das eine reale Band oder eher ein Projektname?
Noch ist es eher eine Band in meiner Phantasie. Aber ich würde das Album liebend gern auf die Bühne bringen. Aber wie du weißt, bin ich noch einer anderen Band verpflichtet, die mich sehr beschäftigt. Zurzeit fehlt einfach die Zeit. Dabei möchte ich gern aus The Guilty Party eine richtige Band machen. Aber mein Leben ist noch immer in Aufruhr. Es gibt in meinem Privatleben noch so einige Herausforderungen in den kommenden Jahren. Mehr möchte ich darüber nicht sagen, aber deshalb wird es nicht einfach für mich, den Plan zu verwirklichen und mit The Guilty Party auf Tour zu gehen.

Von deinen 16 neuen Songs ist »Box Of Tricks« für mich einer der herausragendsten Tracks. Er hat fast ein Rammstein-Feeling. Wie ist er entstanden?
Es begann mit einem kleinen Demo, das war nicht länger als eine Minute. Nur Drum-Machine und eine sehr verzerrte Gitarre. Eigentlich wollte ich nur das Riff notieren, weil ich Angst hatte, es sonst zu vergessen. Und dann habe ich das Demo einige Jahre weggelegt, hatte es fast vergessen. Das passiert mir oft. Ich habe Tausende von so kleinen Musiknotizen. Vor drei Jahren stolperte ich über das alte Stück und beim Wiederhören merkte ich, dass daraus ein Song entstehen könnte. Ich machte mich an die Arbeit. Zu jener Zeit erlebte ich eine sehr, sehr bittere Scheidung. Deshalb ist eine Menge Wut und Zorn im Song zu spüren. Ich durchlebte einen extremen Gefühlsmix, hervorgerufen durch meine Frau, die Anwälte, die Scheidungsrichter, all dies kommt in »Box Of Tricks« zum Ausdruck. Meine Stimme sollte sehr tief klingen. Ich habe ein wenig Echo, ein wenig Hall benutzt. Man kann heutzutage technisch eine Menge machen, um die Stimme zu bearbeiten. Aber am Ende ist es immer noch meine Stimme, nichts anderes.

Du hast diesmal bereits zum wiederholten Mal mit dem Produzenten Peter Denenberg zusammengearbeitet. Was ist das Besondere an eurer Zusammenarbeit?
Ich lernte Peter beim Mixen von »Deep Purple Live At The Olympia« kennen. Das Studio, das ich normalerweise in Coneccticut benutze, war ausgebucht. So landete ich schließlich in Peters kleinem Studio. Er ist ein toller Mann, arbeitet sehr schell und instinktiv, schafft einen großartigen Klang. Mir gefiel sein Einsatz, deshalb arbeitete ich auch bei »Snapshot« und der Jubiläumsedition von »Machine Head« mit Peter zusammen. Und auch diesmal hat es wieder viel Spaß gemacht.

Hast Du einen besonderen Song-Favoriten auf dem neuen Album?
Das ist schwierig zu sagen. Ich weiß es nicht genau. Der verrückteste Song ist jedenfalls »The Car Won´t Start«. Das ist wieder so eine Episode aus meinem Leben zu Hause. Der Song ist nicht unbedingt lustig, aber ich mag das Feeling. Es kostete mich sechs andere Songs, bis ich die Thematik richtig eingefangen hatte.

Du bist ein Internet-Profi, das Studium deiner eigenen Website rogerglover.com ist aufschlussreich. Dort gibt es nicht nur den »Thougt Of The Week«, sondern auch regelmäßig sehr persönliche Botschaften an deine Fans. Was bedeutet Dir die ganze Sache? Wie kommst Du auf die Ideen zum »Thougt Of The Week«?
Es macht mir eine Menge Spaß. Aber ich denke, ich mache es nicht oft genug. Ich habe viele Bücher und ich nutze das Internet. Immer, wenn ich etwas lese, das mir ins Auge springt, notiere ich es. Manchmal ist der Satz nicht sehr lang, aber Du kannst eine ganze Woche darüber nachdenken.

Kürzlich hattest Du mit Deep Purple und einigen alten Freunden einen besonderen Benefiz-Gig in der Royal Albert Hall. Was lief da ab?
Wir machen die Sunflower Jam schon einige Jahre. Es ist immer ein ganz besonderer Abend. Du triffst dort eine Menge alter Bekannter, Künstler, Musiker, Sänger. Du kannst dort Leute treffen, die du seit Jahren nicht gesehen hast. Neben uns hatte auch Jon Lord einen Auftritt gemeinsam mit Rick Wakeman, der auch ein alter Freund ist. So wurde es diesmal ein besonders erlebnisreicher Abend mit großartiger Musik. Eine Stimmung ähnlich wie bei einem Klassentreffen. Es ist schon verrückt. Über die Jahrzehnte haben so viele unterschiedliche Leute mit Deep Purple zu tun gehabt. Es gibt Leute, die kennen den Deep Purple-Family-Tree (Stammbaum) in und auswendig. Aber ich glaube, es ist kein Stammbaum mehr, sondern eher ein Dschungel. Ach ja, auch die Einnahmen für einen guten Zweck waren erfolgreich. Am Ende war jeder glücklich darüber. Prinz Charles kam am Nachmittag während der Proben vorbei, hörte uns ein Weilchen zu. Kein schlechter Tag also.

Es gibt eine dicke deutsche Bandbiografie über Deep Purple (Jürgen Roth und Michael Sailer: »Deep Purple: Die Geschichte einer Band«, Hannibal Verlag). Hast Du das Buch je in der Hand gehabt?
Ich kenne einige Bücher über Deep Purple, aber die sind alle in meiner Sprache. Ich hoffe, ich habe die Chance dieses deutsche Buch zu lesen, wenn es übersetzt werden sollte.

Das letzte Deep Purple-Studio-Album »Rapture Of The Deep« erschien 2005. Ist etwas Neues in Aussicht?
Wir haben uns im März in Spanien getroffen und bereits eine ganze Reihe von Ideen zusammengetragen. Im Herbst wollen wir weiter daran arbeiten. Ich rechne damit, dass wir im kommenden Jahr fertig werden. Ja, es wird ein echtes Deep Purple-Album werden. Unsere Zukunft sieht ganz rosig aus. Aber vorher geht es auf Europa-Tour. Wir starten am 26. November in Glasgow, sind Anfang Dezember in Deutschland und werden danach bis zum 15. Dezember auch in Finnland, Schweden, Norwegen und Dänemark auftreten.

Interview: Ulrich Grunert

m&r präsentiert:
DEEP PURPLE feat. Neue Philharmonie Frankfurt: The Songs That Built Rock
Schwerin, Sport – und Kongresshalle, 4. Dezember 2011

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