Das Pop-Saxofon ist out. Saxofonist Dan Freeman stört das nicht. Er singt lieber
Text: Christoph Schrag, Foto: Promo
Saxofonisten haben es schwer im Popgeschäft. Jedenfalls seit die 80er vorbei sind. Sie haben es einfach übertrieben bei Gerry Rafferty, Billy Ocean oder Spandau Ballet und sich den Ruf versaut. Mehr noch: Die musikalische Metaphysik geriet ins Wanken. Setzt heute ein Saxofon zum Solo an, scheint sich ein Zeitfenster zu öffnen und jeden, der die Ohren nicht schnell festhält, gleichzeitig in alle Jahre zwischen 1978 und 1989 zu saugen, in eine ortlose Dimension, in der alle Saxofonsoli der damaligen Charts simultan im Loop laufen. Gefährlich. Deswegen macht das heute keiner mehr, und Popsaxofonisten diesseits des Jahrtausends sind arbeitslos. Der studierte Saxofonist Dan Freeman aus Tasmanien hat daraus zwei Schlüsse gezogen. Erstens: Wenn selbst das Umhängekeyboard revivalfähig ist, wird auch dem Saxofon seine unweigerliche Wiederauferstehung zuteilwerden, und so lange halte ich mich fit im Nebenjob bei einer Raggamuffinband. Zweitens: Außerdem kann ich ja auch Piano und Gesang. Vor allem dies hat ihm das Seelenheil gerettet und uns wunderschöne Musik geschenkt, die sich kein Achtzigerjahrebürger je von einem Saxofonisten erträumt hätte. Ja, Tasmanien. Da kommt Dan Freeman her. Doch so weit Tasmanien auch weg sein mag – selbst dort ist der musikalische Ruf Berlins längst erschallt. Vor Jahren schon verließ Dan Freeman die real existierende Insel, die der Durchschnittsdeutsche für eine Art Atlantis hält, und ließ sich in der Ex-Insel Berlin zum Musiker ausbilden. Saxofon. Aber eben auch Klavier und Komposition. Und Stimme. Und was für eine Stimme! Warm wie ein Baritonsax, mühelos hoch wie ein Sopransax und wendig wie eine Klarinette. Muss sie auch sein, denn Freeman baut keine deutschen Autobahnen durch seine Songs, sondern eher fantasmanische Wanderpfade. Da muss die Rhythmusabteilung auch mal stolpern dürfen, einen Takt absägen oder umdrehen, um dem Melodienweg folgen zu können. Seitlich des verschlungenen Gesangspfades schrauben sich die Harmonien aus Klavier und luftigen Gitarren mit dem Hauptinstrument in die Höhe, und ja, schweben dort oben eine zeitlose Sekunde lang, bis sie ganz sanft und schön wie rotgelbes Herbstlaub herabsinken, scheinbar schwerelos, nur begleitet von einem leichten Seufzer der Vergänglichkeit.
Soviel musikalisches Märchen musste Mr. Freeman natürlich erst mal üben. Mit seinen Kollegen der Hochschule für Musik »Hanns Eisler« auf einigen Kurzstrecken-Alben, bis jetzt die erste große Veröffentlichung erschien: »I Lie A Lot«. Wieder so etwas Zauberhaftes. Heißt ja zwei Sachen: Viel liegen und viel lügen. Beides mit Sicherheit gelogen, oder zumindest fantasiereich zu einem Geschichtenbeginn erflunkert. Denn wer viel liegt, der schafft keine Platte. Und wer sagt, dass er viel lügt, tja, der sagt irgendwie auch viel Wahrheit und widerspricht sich ergo in f lagranti. Das kleine musikalische Berliner Märcheninsel-Label »Solaris Empire« f lunkert übrigens zu Recht ebenso ehrlich: »Elegisch, berührend, mit warmem vollen Sound […] gleichzeitig treibend und entspannt. Die Musik strahlt Weite und eine erhabene Schönheit aus, und erinnert zuweilen an Radiohead oder Jeff Buckley«.
Das stimmt. Und: Kein einziges Saxofon zu hören. Noch nicht. Wartet ab.
Anzeigen br>Dan Freeman I Lie A Lot
Solaris Empire/Solaris Empire/Broken Silence
VÖ: 11.11.2011