Melodie & Rhythmus

Editorial: Kulturelle Hegemonie

22.04.2014 15:23

Editorial

Die ganze Welt schaut auf die dramatischen Ereignisse in der Ukraine. Was als hoffnungsvolle Protestbewegung begann, droht mit einer Geisterfahrt in einen dunklen Tunnel zu enden: Ultranationalistische und faschistische Kräfte streben – leider mit Unterstützung der deutschen Regierung – an die Macht. Was hat das mit populärer Musik zu tun? Sehr viel. Denn Musiker begleiten diese »Revolution« von rechts mit einer schaurigen Rattenfängermelodie und einem strammen Rhythmus, in dem wieder der altbekannte Marschtritt des Imperialismus zu hören ist.

Ein schlechter Zeitpunkt für den mit diesem Heft vollzogenen Neustart der M&R? Ganz im Gegenteil. Denn jetzt gilt es für alle emanzipativen Kräfte, sich zu sammeln und kulturelle Hegemonie zu erringen, wie es einst Antonio Gramsci gefordert hatte. Wir müssen (zurück) erobern, was der totalitäre Neoliberalismus sich mit seinen rechten Erfüllungsgehilfen angeeignet, für seine Zwecke zugerichtet hat und als Propagandawaffe einsetzt: Musik, Bilder, Sprache – alles, was Kultur ausmacht. Für diejenigen, die diese Plünderungszüge nicht mehr über sich ergehen lassen und die Geschichte der Verdinglichung unserer ästhetischen Lebensäußerungen zur Ware gegen den Strich bürsten wollen, möchten wir mit der neuen M&R Räume erschließen: Für tönende Gesellschaftskritik und radikale Gegenkultur.

Wir starten mit einer virtuellen Konferenz zum Klassenkampf in der Popmusik. Dazu haben wir namhafte Theoretiker eingeladen, wie Simon Reynolds und Dietmar Dath. Wir »entstauben« die guten alten Kampflieder, die brandaktuell bleiben und uns von der befreiten Gesellschaft erzählen. Der portugiesische Sänger Vitorino Salomé erinnert sich für uns an die »Nelkenrevolution«, zu der vor 40 Jahren zwei Lieder das Signal gaben. Neben historischen erweitern wir auch geographische Horizonte: Wir reisen mit Ihnen nicht nur auf den Maidan, sondern noch weiter nach Osten zu den »Stritery« in Sibirien. Wir besuchen die ebenso krisengeplagten wie widerständigen Musikschaffenden in Griechenland. Unser Afrika-Korrespondent lässt uns am Highlife in Ghana teilhaben. Natürlich präsentieren wir endlich das Ergebnis Ihrer Wahl der Top Ten der wichtigsten Revolutionslieder – und vieles, vieles mehr.

Glauben Sie nicht, dass wir den M&R-Relaunch mit Heft 3/14 als abgeschlossen betrachten. Wir verstehen ihn vielmehr als work in progress. Keine Entwicklung ohne intensive Auseinandersetzungen. Für Debatten haben wir mit der neu eingerichteten Rubrik »Standpunkte« viel Platz geschaffen. M&R ist kein Verlautbarungsorgan, sondern ein wahres Medium. Ein quicklebendiger Organismus, der wachsen soll. Dafür braucht er ständig neue Nahrung: Ihre Ideen und Meinungen. Zunächst einmal über M&R. Wie finden Sie eigentlich das neue Outfit, das unsere dänischen Freunde von dem Designer-Kollektiv Rabotnik kreiert haben? Schreiben Sie’s uns oder sagen Sie’s uns! Diskutieren Sie mit uns auf unseren Veranstaltungen! Vorher lesen und schauen Sie aber bitte – und freuen sich auch ein bisschen mit uns über den Neuanfang …

Susann Witt-Stahl
Chefredakteurin M&R

Susann Witt-Stahl, Studium der Musikwissenschaften und Philosophie (Universität Hamburg), lebt und arbeitet sie als Journalistin und Autorin in Hamburg. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind: Ideologiekritik neoliberaler Politik, der modernen Kriege, der Kulturindustrie, gesellschaftlicher Naturverhältnisse sowie reaktionärer Tendenzen in der Linken. Sie hat diverse Bücher und zahlreiche Essays veröffentlicht. Darunter „“… But His Soul Goes Marching On‘. Musik zur Ästhetisierung und Inszenierung des Krieges“, „Beats für die Heimatfront:’Let’s Get Loud.‘. Die Kulturindustrie mobilisiert für den Krieg“.

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