Melodie & Rhythmus

Ein Arzt-Besuch

28.10.2014 14:17

Farin Urlaub
Foto: Olaf Heine

Farin Urlaub wandert wieder auf Solopfaden. Auf »Faszination Weltraum« übt der Ärzte-Frontmann scharfe Kritik an ganz irdischen Orten und geht dem kollektiven Burnout auf den Grund
Katja Schwemmers

Ein Hauch von Terror umweht das neue Werk von Farin Urlaub. »Dynamit – wir verschönern unser Innenstadtgebiet; Dynamit – Architekturkritik, die man tatsächlich sieht«, singt der Ärzte-Frontmann auf seinem vierten Solo-Album. Klingt erst mal witzig, hat aber einen ernst gemeinten Hintergrund, wie er uns beim Gespräch in der Berliner Columbiahalle erzählt.

»Mich kotzen diese neuen Innenstädte an, also nicht nur Berlin, nicht nur in Deutschland, sondern überall in der Welt. Kennst du eine richtig moderne Innenstadt, in der man sich wohl fühlen kann? In der du nicht nur das Gefühl hast: Okay, ich muss jetzt in ein Café gehen, um mich hinsetzen zu können, und muss dafür Geld bezahlen? Sondern eine Stadt, die einfach zum Verweilen einlädt, und wo man sich willkommen fühlt?«, sinniert er und liefert die Antwort gleich mit: »Da setzen sich Stadt- und Verkehrsplaner hin und sagen: ›So. Wir entwerfen jetzt eine neue Innenstadt.‹ Aber sie denken dabei nicht an den Menschen!«

Farin Urlaub muss es eigentlich wissen. Denn der 51-Jährige hat seinen Künstlernamen zum Lebensmotto gemacht und pflegt das Reisen als große Leidenschaft, am liebsten solo und per Jeep oder Motorrad. Zwei Bildbände hat Urlaub schon darüber veröffentlicht. »Ohne Ästhetik keine Wertschätzung«, resümiert er nun passend in besagtem Song. »Wenn ich meine Umgebung nicht wertschätze, weil ich sie als hässlich, abstoßend und lebensfeindlich empfinde – was ist dann der logische Schritt? Erst mal die kleine Zerstörung: alles besprayen. Aber wenn‘s scheiße aussieht, sieht‘s auch getaggt nicht besser aus, aber wenigstens hab ich‘s irgendwie vollgemalt. Oder ich mache es wie in meiner gewalttätigen Fantasie und sprenge sie in die Luft.«

Gibt es dennoch eine Stadt, die seinem Ideal nahe kommt? »Es gibt sogar viele! Die sind aber alle natürlich gewachsen und dementsprechend alt. Wenn ich also jetzt zum millionsten Mal betone, dass Paris eine schöne Stadt ist, sagen alle: ›Ach so, du willst in der Vergangenheit leben?!‹ Nee, will ich natürlich nicht. Ich frage mich, ob es möglich ist, eine moderne Stadt nach alten Prinzipien zu entwerfen, und ich muss zu dem traurigen Schluss kommen: Nein, weil sie dann automatisch eine autofreie Innenstadt hätte. Und dann sagen natürlich die ganzen Geschäfte: ›Und wie sollen unsere Waren angeliefert werden?‹ Deswegen bin ich kein Stadtplaner geworden, sondern Rockmusiker.«

Der Sänger und Gitarrist ist als Pol der guten Laune bekannt. Das schließt nicht aus, dass er sich auf dem neuen Album auch immer wieder als Beobachter gesellschaftlicher Entwicklungen entpuppt, auch jener, die nicht unbedingt etwas mit ihm selbst zu tun haben. So thematisiert er im Lied »3000« Burnout-Beschwerden. Kennt er das Ausgebranntsein auch aus eigener Erfahrung? »Nee, um Himmels Willen! Wie soll das denn gehen? So nach dem Motto: Ach, Gott der Gerechten, ich muss schon wieder verreisen?« Urlaub lacht. »Aber ich beobachte in meinem Bekanntenkreis – von einer zugegeben sehr entspannten Position aus – mit Sorge den Virus der ständigen Erreichbarkeit. Nichts scheint mehr aufgeschoben werden zu können.«

Im Song geht es um Überlebensstrategien für das dritte Jahrtausend. »Brauchst du Hilfe?«, fragt der Ober-Arzt. »Das Hauptproblem ist doch«, fährt Urlaub fort, »wenn Leute zu viel zusagen, weil sie Angst haben, sich mit Nein-Sagen unbeliebt zu machen. Ich sehe das bei vielen Leuten. Und wenn sie dann tatsächlich mal etwas ablehnen, haben sie Angst, das auch wirklich durchzuziehen. Dabei ist es gar nicht schlimm, wenn man sein Handy mal ausmacht. Es müssen nur alle Bescheid wissen, dass man auch mal nicht erreichbar ist.« Urlaub hat etwas Lebensbejahendes, so dass wir ihm nahe legen, Therapeut zu werden oder zumindest Tschakka-Kurse anzubieten. »Hallo!? Mach ich doch schon. Zum Kaufen!« Er lacht wieder.

Farin Urlaub Racing Team Faszination Weltraum
Völker hört die Tonträger
www.farin-urlaub.de

Den kompletten Artikel lesen Sie in der M&R 6/2014, erhältlich ab dem 31. Oktober 2014 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

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