Die Rebellion ist aufgebraucht. Aus den großmäuligen »Live Fast, Love Hard, Die Young«-Rockern sind solide Handwerker geworden, die sich um die Welt schleppen, bis sie tot von der Bühne fallen – mit 70, 80 oder 90 Jahren
Text: Jörn Morisse, Fotos: Joel Ryan/AP/dapd, Kirsty Wigglesworth/AP/dapd
Those Were The Days«, »Young ‚Til I Die«, »Yesterday When I Was Young« – in unzähligen Songs der Musikgeschichte werden der Verlust von Jugendlichkeit und Schönheit und das Älterwerden als Makel beschrieben. Aber schon Fritz Puppel, Toni Krahl und Klaus Selmke von der Rockgruppe City behaupteten 1983 im Gespräch mit Jürgen Balitzki: »Rock ist eine Kunstform wie jede andere. Irgendwann war sie ganz jung und man glaubte, sie habe etwas mit ständiger Jugend zu tun. Das ist ein Irrtum. Es gibt noch kein Anzeichen dafür, dass sich Ältere nicht zu Jugendproblemen äußern dürfen. Man kann sich aber nicht in ein buntes Jackett aus dem An- und Verkauf werfen, ein Fass Tinte übers Haar kippen und sagen: ›Jetzt zeigen wir’s mal den 18-Jährigen‹«. Nicht umsonst lautete Citys Motto damals: »Ohne Bass und ohne Haare mit City durch die 80er Jahre.« Die Schieflage zwischen einer alternden Gesellschaft und einem gleichzeitig vorherrschenden Jugendkult ist immer noch enorm: Auch wenn heute darüber gesprochen wird, ob Musiker jenseits der Siebzig noch auf die Konzertbühne steigen dürfen, tritt im Allgemeinen eine paradoxe Einstellung zutage: Alter wird akzeptiert unter der Voraussetzung, dass man sich nach Kräften bemüht, sich neu zu erfinden oder sich sein Alter zumindest nicht anmerken zu lassen. In Gesprächen mit Musikern wie Conor Oberst (Bright Eyes), Kim Wilde, Marian Gold (Alphaville), Melissa auf der Maur (Hole, Smashing Pumpkins) und Jaki Liebezeit (Can), die Oliver Koch und ich im letzten Jahr für das Interviewbuch »Never Get Old« geführt haben, wollten wir herausfinden, wie es gelingt, mit dem Alterungsprozess in einer Industrie umzugehen, die immer noch vornehmlich über Jugendlichkeit funktioniert, in der aber die Grenzen zwischen Nostalgie, Retro und Recycling zusehends verwischen.
Die Kinder spielen die Musik ihrer Eltern
Fakt ist: Jugendliche benutzen seit Jahrzehnten musikalische und modische Stilmerkmale, um der vernünftigen Erwachsenenwelt etwas entgegenzusetzen. Von der Jugend gingen die entscheidenden Brüche aus, die sich ein ums andere Mal als kulturelle Frischzellenkur erwiesen. Jugendkultur war sowohl Motor von Innovation als auch Wirtschaftsfaktor.
Jörn Morisse, Oliver Koch: Never Get Old?
Edel:Rockbuch
www.jmorisse.de
Eine Rezension des Buchs finden Sie in M&R 06/2011, S. 82.Radiotipp:
Never get old? Vom Älterwerden im Pop
Ein Feature von Jörn Morisse und Oliver Koch
Deutschlandradio Kultur · 26.09.2012 · 00:05 Uhr
Den kompletten Artikel lesen Sie in der Melodie&Rhythmus 5/2012, erhältlich ab dem 31. August 2012 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch hier bestellen.
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